: Der Fahrplan der Diktatur
■ Der Kandidat wird vom Militär ernannt
Der Fahrplan für den Übergang von der direkten Militärdiktatur zur militärisch überwachten, eingeschränkten Demokratie wurde 1980 geschrieben. Viele Chilenen lebten damals besser denn je. Der relative Wohlstand gründete auf einer massiven Privatverschuldung, die zwei Jahre später zum wirtschaftlichen Kollaps führen sollte. 1980 wußte der Diktator eine Mehrheit des Volkes hinter sich und ließ auf plebiszitärem Weg eine Verfassung verabschieden, die den Militärs über den Nationalen Sicherheitsrat ein Vetorecht in allen wichtigen Entscheidungen einer künftigen Legislative einräumt und gleichzeitig die linken Parteien für illegal erklärt. Diese Verfassung bestimmt auch, daß Pinochets Amtszeit am 11. März 1989 ausläuft. Die Chilenen werden vermutlich schon 1988 zu den Urnen gerufen. Dabei geht es nicht um die freie oder eingeschränkte Wahl des künftigen Präsidenten, sondern allein darum, ob das Volk sich für oder gegen den konkurrenzlosen Kandidaten ausspricht, den die Diktatur ihm vorsetzen wird. Die Übergangsbestimmungen der Verfassung legen fest, daß die „Oberbefehlshaber der Streitkräfte und der Polizei dem Land einstimmig den Kandidaten vorschlagen“. Drei der vier Oberbefehlshaber - Luftwaffenchef Matthei, Marinechef Merino und Carabinero–Chef Stange - haben sich bereits mehr oder weniger verschlüsselt gegen eine neue Amtszeit Pinochets ausgesprochen und die Idee eines zivilen Kandidaten aus dem rechten Lager ventiliert. Der vierte Oberbefehlshaber - der Kommandant aller Landstreitkräfte - ist Augusto Pinochet Ugarte höchstselbst. Wenn es ihm also beliebt, eine neue Amtsperiode anzutreten, wird er einen einstimmigen Beschluß torpedieren und sich selbst als Kandidat durchsetzen. Denn falls sich die vier Oberbefehlshaber nicht einstimmig auf einen Kandidaten einigen können, wird gemäß der Verfassung dieser vom Nationalen Sicherheitsrat bestimmt. In diesem Gremium, dem neben den vier Junta–Mitgliedern (Matthei, Merino, Stange, Gordon) Pinochet selber, die Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und des Staatsrates und (nur zur Kür des Kandidaten) der Präsident des Obersten Rechnungshofes angehören, dürfte Pinochet leicht eine Mehrheit hinter sich versammeln. Nicht auszuschließen ist auch, daß Matthei, Merino und Stange doch noch spuren und Pinochet vorschlagen, um das Bild der Einheit der Streitkräfte zu wahren. Und wenn der Kandidat der Diktatur beim Plebiszit durchfällt? Zunächst wäre es eine Schlappe für die Streitkräfte (deshalb drängen ja Matthei, Merino und Stange auf einen sichereren Kandidaten als Pinochet), die dann möglicherweise zu einer Verfassungsänderung bereit sein könnten. Wenn nicht, so würde Pinochet selbst - nach den Übergangsbestimmungen der Verfassung - ein zusätzliches Jahr im Amt bleiben, bis 1990 also, und müßte dann Präsidentschafts– und Parlamentswahlen ausschreiben, von denen die Linke nach wie vor ausgeschlossen bliebe. Soweit das Szenario, wie es die Verfassung vorsieht. Alles ist geregelt, für alle Eventualitäten gibt es einen Verfassungsartikel. Nur nicht für den Fall, daß sich Pinochet wie schon 1973 über die Verfassung höchstsouverän hinwegsetzt.
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