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Archiv-Artikel

Der Eingang zur Hölle

Anne Weber, morgen zu Gast im Literaturhaus, folgt in „Besuch bei Zerberus“ den Spuren ihres Vaters und Walter Benjamins und verkonstruiert sich bisweilen beim Versuch, Vergangenes zu fassen

von Carola Ebeling

Wohin führt die Sprache? Fort von der „Wirklichkeit“, indem sie imaginierte Innenwelten erschafft, solitäre Bewusstseinsinseln? „Die Sprache ist meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten“, heißt es in Anne Webers neuem Buch Besuch bei Zerberus, aus dem sie im Literaturhaus lesen wird.

Doch kurz darauf maßregelt sich die Autorin selbst: Als Schreibende fühle sie sich in der Pflicht, den Dingen und der Sprache auf den Grund zu gehen, nicht vor der „Wirklichkeit“ zu flüchten, die sie jedoch ohne Anführungszeichen auf keine Seite ihres Buches lasse: Ihr Misstrauen dem Wirklichen gegenüber bleibt.

Es ist zwar kein Handlungsfaden, aber doch immerhin ein Faden, den verfolgend man hineingelangen kann in das Buch Webers, das den „offenen Anfang“ erprobt: Das beständige Changieren zwischen sinnlich wahrnehmbaren Realitäten und den inneren, assoziativen Bilderketten und die Reflexionen über diese Grenzüberschreitungen sind tragende Momente eines Textes, der sich jedem gängigen Genre entziehen will. „Für den Roman bin ich zu kurzatmig, für die Novelle zu einfallslos, für den Aphorismus zu weit von jeder Wahrheit entfernt“, verrät die Ich-Erzählerin, die außerdem behauptet, ihr Name stehe auf dem Buch, das die LeserInnen in Händen halten.

Ist dem zu trauen? Gewissheit ist, dass dieser schmale Band keine nacherzählbare Geschichte bietet. Man „hört“ eine weibliche Stimme, man folgt der Ich-Erzählerin auf ihrer Reise nach Cerbère, einem französisch-spanischen Grenzort. Ganz nahe liegt Port Bou, wo sich Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm.

Auslöser der Reise der Protagonistin ist der sterbende Vater. Die Tochter ist ihm, der sich immer entzog, auf der Spur. Die Rolle der Bittstellerin zu überwinden, darum geht es. „Der Vater ist körperlos, fußlos, fleischlos, wie könnte er sterben? Im Summen des Rasierapparats liegt sein ganzes Körperleben. Technische Panne? Stromausfall? Der Wind trägt den Vater ins Hinterland (...) Geradewegs auf mich zu drängt er ihn, in die Unterwelt, auf deren Schwelle ich sitze und dem Wärterhund Gesellschaft leiste.“ Gemeint ist der mythische Wärterhund Zerberus, der den Eingang zur Hölle bewacht. Cerbère als Ort, an dem sich die Motive der Grenze und ihrer Überschreitung mit dem des Todes verbinden.

Die Erzählerin fragt, philosophiert, erinnert, beschreibt. Der Ton variiert, ist keinesfalls nur ernst, sondern von Selbstironie und Witz durchzogen. Die Tochter ist eine Staunende angesichts der unendlichen Erscheinungen der „Wirklichkeit“. Zugleich hadert sie als Schreibende: Wie stehen die Worte zur Welt und umgekehrt? Und da kommt Benjamin ins Spiel, der in der Welt einen zu entziffernden Text sah und in der Sprache mehr als ein Benennungsinstrument. Benjamin wiederum wird mit dem abweisenden Vater der Protagonistin assoziiert, die Ambivalenz der Erzählerin trifft also beide – und damit zugleich den wunden Punkt der eigenen Spracharbeit.

Weber knüpft ein kunstvolles Netz von Bedeutungen, in dem Traum, „Realität“, Mythologie, (Sprach)Philosophie, Erinnerung und Gegenwart ineinander fließen. Die Gefahr, sich in diesem selbst gesponnenen Netz zu verfangen, liegt gerade in seiner Kunstfertigkeit und manchmal erliegt ihr die Autorin: Dann wirkt die Fülle der Bedeutungsverweise zu konstruiert und die Stärke einzelner Sätze geht darin verloren.

Anne Weber: „Besuch bei Zerberus“. Frankfurt/M. 2004, 112 S., 18,90 Euro. Lesung: Fr, 14.5., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38