: Der Eigensinn der Bilder
BILDER UND POLITIK Gehen die Bilder vollends in ihrer Instrumentalisierung auf? Tom Holert hat ein Buch über das „Regieren im Bildraum“ geschrieben
TOM HOLERT
Am 14. April 1999 tritt der amtierende Verteidigungsminister Rudolf Scharping in Bonn vor die Presse. Wenige Wochen zuvor hat die rot-grüne Regierungskoalition die Bundeswehr auf den ersten Kriegseinsatz seit Gründung der Bundesrepublik ins Kosovo geschickt.
Die öffentliche Meinung verlangt nach Gründen für den Einsatz und die Bombardierungen. Scharping will ihr diese liefern.
Er hat mehrere Bilder bei sich, Satellitenaufnahmen, auf denen angeblich Massengräber zu sehen sind. Die im Raum versammelten Journalisten sind zu weit vom Rednerpult des Ministers entfernt, um die Fotos genauer in Augenschein nehmen zu können. Eindeutiges ist ohnehin nicht auf ihnen zu erkennen. Aber darum ging es überhaupt nicht.
Auf das Vorzeigen der Bilder allein, auf die Geste des Beweisens kommt es an – Scharping überzeugte, ohne bezeugen, beweisen, nachweisen zu müssen. Solcherart ist die Macht der Bilder, vor allem solcher Bilder, die als Instrument des Regierens eingesetzt werden.
In seiner im B-Books Verlag erschienenen ausführlichen Studie „Regieren im Bildraum“ kommt der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Tom Holert zu dem Schluss, dass Scharping mit diesem Auftritt auf einen „Realitätseffekt“ zielte, darauf, durch die Geste des Voraugenstellens visuellen „Blindtext“ in einen scheinbar eindeutigen Bildbeweis zu transformieren.
Wie sich Krieg, Politik und Strategien der Kontrolle neuerdings in einer Ökonomie des Visuellen treffen, wie mit Bildern, kurz gesagt, Politik gemacht wird, steht im Fokus des materialreichen Bandes.
In dem weist sich Holert vor allem als feiner Seismograf visueller Ereignisse in einer ohnehin von Bildern durchwirkten Gegenwart aus.
Weil er weiß, dass in einer medialen Welt nichts schwieriger ist, als über Medien zu reden, verzichtet Holert dabei klugerweise darauf, eine umfassende Theorie „des“ Bildes zu entwerfen.
Statt die Frage nach einem unveränderlichen Wesen des Visuellen zu stellen, begibt er sich – immer in „Sicherheitsabstand“ zu ontologischen oder anthropologischen Behauptungen – auf die Suche nach den konkreten Technologien und Apparaten, die die visuellen und nichtvisuellen Zeichen produzieren, verarbeiten und verbreiten, die uns täglich begegnen – auf Magazincovern, in der Zeitung oder im Fernsehen, im Musikvideo oder im Kinofilm, als Banner auf politischen Demonstrationen oder als Inszenierungen politischer Macht beim Photo Op.
Dieses Haften an konkreten und sehr anschaulichen Beispielen ist die eine Stärke des Buchs. Die andere Stärke liegt in der skeptischen Haltung des Autors jedweden Versuchungen gegenüber, Bilder und Politik aufeinander zu reduzieren. Das hieße, den Eigensinn des Visuellen zu unterschlagen.
So geschmeidig Politiker und Herrschende es mittlerweile auch verstehen, sich stets ins beste Licht zu rücken, die Zirkulation der Bilder zu steuern, das Visuelle zu ihrem Vorteil zu verwenden, so kann daraus jedoch nicht gefolgert werden, dass die Bilder in ihrer Instrumentalisierung völlig aufgehen.
Die Macht der Medienmanipulateure steht für Holert zwar außer Frage, sie ist für ihn aber ebenso „eine angeschlagene Macht, der die Kontrolle immer wieder entgleitet“. Etwa, als am 11. September 2001 die Symbole der Weltwirtschaftsmacht USA zerstört wurden.
Die Anschläge auf das World Trade Center, die mediale Repräsentation dieses Ereignisses und seiner Folgen, bilden den Bezugspunkt, um den alle „Bildfälle“ des Buches in mal näherer, mal größerer Entfernung sich versammeln.
Tom Holert fährt eine Fülle heterogenen Materials auf: Präsident George W. Bush, der seinen Truppen im Irak einen falschen Truthahn serviert; die ganz in der Farbe Orange gekleideten Demonstranten in Kiew; George Michael als tanzender Polizist in seinem Musikvideo „Outside“.
Über der Vielzahl der Beispiele verliert seine Studie jedoch nie ihr Erkenntnisinteresse aus dem Blick: Kann es gelingen, die Bilder, ihr Vorkommen, ihre Verbreitung und ihre Wirkweisen auf eine Art und Weise zu erklären, die die Bilder als Mittel einer instrumentellen Vernunft erkennt, ohne sie dadurch als Bilder zum Verschwinden zu bringen?
Denn für Holert gilt: „Bilder werden produziert, aber sie sind ihrerseits ebenso produktiv.“
DIETMAR KAMMERER
■ Tom Holert: „Regieren im Bildraum“. Berlin: B_books/ Polypen Verlag, Berlin 2008, 340 Seiten, mit Illustrationen, 28 €