: Der Bürger Richter geißelt „Kriecherei“
Der Müllskandalprozess endet für die Angeklagten mit milden Strafen und einem Freispruch. In seiner Urteilsbegründung lässt Richter Martin Baur seinen ganzen Ärger über die korruptiven Gepflogenheiten des Kölner Polit-Establishments raus
Von Pascal Beucker und Frank Überall
Es kam wie es kommen musste. „Überraschend ist das Urteil sicher nicht“, sagte Martin Baur gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung. Mit den von ihm verkündeten drei Jahren und neun Monaten Haft für Ulrich Eisermann, den zwei Jahren auf Bewährung für Sigfrid Michelfelder sowie dem Freispruch für Norbert Rüther wich der Vorsitzende Richter keinen Deut von dem ab, was er den Angeklagten bereits vor einem Monat in Aussicht gestellt hatte. So hätte Baur sich eigentlich kurz fassen können. Tat er aber nicht. Denn den letzten, den 42. Verhandlungstag des Kölner Müllskandalprozesses wollte er denn doch noch einmal nutzen, um der Kölner Politik die Leviten zu lesen.
Man merkte, dass sich Baur auch als Bürger geärgert hat. Den römischen Historiker Tacitus zitierend, konstatierte er, das Kölner Polit-Establishment habe sich dem „Verbrechen der Kriecherei“ schuldig gemacht. Die Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) sei deutlich größer konzipiert worden, „als sie den Kölnern verkauft worden ist“. Daran habe vor allem der Viersener Müllunternehmer Hellmut Trienekens ein großes Interesse gehabt. Der war der einzige Nutznießer und konnte „Geschäfte machen, mit denen man reich werden kann“. Trienekens habe als Minderheitsgesellschafter der AVG in der Müllofenbetreiberfirma „starken Einfluss gehabt und sollte ihn auch haben“.
Die Konsequenz: „Lukrative Aufträge gingen immer an Trienekens, Kostenträchtiges an die Stadt.“ Und für die Begleichung mussten die Gebührenzahler aufkommen. Im Gegenzug seien viele Ratsmitglieder „auch nicht leer ausgegangen“. Damit spielte Baur auf Beraterverträge und Zuwendungen an, die im Verlauf des Prozesses bekannt wurden.
Bemerkenswert: Seinen Unmut über die Kölner Verhältnisse verpackte Baur sogar in Lob für den Angeklagten Eisermann. Der habe sich nämlich erfolgreich gegen das Ansinnen gewehrt, ein „Sales and Lease Back Verfahren“ zur Finanzierung der MVA zu akzeptieren. „Cross Border Leasing ist in Köln ja leider Mode geworden“, setzte Baur zu einem Exkurs an: „Man kann offensichtlich jeden Ratsherrn mit dem Wort Bargeldvorteil fangen, da kriegen die leuchtende Augen. Die schmieden sich aber selbst an die Ketten, an denen sie später verenden werden.“
Fast schien es, als bedauere er es, Eisermann in den Knast und nicht zurück auf seinen früheren AVG-Posten zu schicken. Denn der Korrumpel handelte laut Baur wirtschaftlich, nicht nur in eigener Sache. Er habe zwar selbst kräftig kassiert, aber auch für einen „ungemein günstigen Preis“ der MVA gesorgt. Und nicht nur das: „Ich kenne bisher keinen öffentlichen Bau, wo der Kostenrahmen auch nur annährend eingehalten wurde. Hier wurde er sogar unterschritten“, meinte Baur. Und das trotz der 21,6 Millionen Mark Schmiergeld, die der Anlagenbauer Steinmüller eingesetzt hatte. Die wenigen Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude überzeugte das nicht. Ihre Forderung: „MVA stilllegen – Müll und Geld sparen“.