: Der Bond von der Weser
Der Manager des Bundesligafußballvereins Werder Bremen war Doppelagent: Spitzeldienste für den deutschen und sowjetischen Geheimdienst ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Uli Hoeneß hatte es schon lange gewußt. Der Mann hat Dreck am Stecken, mutmaßte der Manager von Bayern München bei jeder Gelegenheit über seinen Erzfeind Willi Lemke. Daß der langjährige Manager des SV Werder Bremen und frühere Bremer SPD-Landes- Geschäftsführer jedoch Anfang der 70er Jahre „Doppelagent“ für Verfassungsschutz und KGB gespielt hatte, hätte sich selbst Hoeneß nicht in seinen böswilligsten Phantasien träumen lassen.
Als Sportreferent des Hamburger Asta war Lemke bei Bemühungen, Kontakte mit DDR- Sportlern aufzubauen, vom KGB angesprochen worden und hatte sich nicht abgeneigt gezeigt. Wie der frühere Hamburger Verfassungsschutz-Chef Hans Josef Horchem sich erinnert, hatte Willi Lemke sich später an das Hamburger Amt gewandt und dort mitgeteilt, er habe sich auch schriftlich zur Zusammenarbeit verpflichtet.
Der Hamburger Verfassungsschutz ermutigte Lemke, sich weiter mit den KGB-Leuten zu treffen, und es kam zu insgesamt zwölf konspirativen Treffen. Erst als Lemke in der Bremer SPD Karriere machte, erfuhr der dortige SPD-Innensenator davon und sorgte dafür, daß der Agent Lemke von den Hamburger Kollegen „abgeschaltet“ wurde – sehr zur Verärgerung des VS-Chefs Horchem, der die Geschichte deshalb in seinem Buch „Auch Spione werden pensioniert“ jetzt ausgeplaudert hat.
Willi Lemke hatte sich dann seiner Parteispitze offenbart. Er wurde für einige Jahre SPD-Geschäftsführer und wechselte 1981 an die Spitze des SV Werder. „Eine Riesensauerei“ findet Lemke die Indiskretion des Hamburger VS-Chefs und kündigte eine Klage an. In Bremen waren Bruchstücke des Doppellebens einigen hochrangigen SPD-Politikern bekannt gewesen. Neben dem Innensenator und dem Bürgermeister waren SPD-Landeschef Scherf sowie der Fraktionsvorsitzende Kunick eingeweiht. Als Willi Lemke 1975 versuchte, auf die Landtagsliste der SPD zu kommen, wurden Gerüchte über eine angebliche Anwerbegeschichte benutzt, um ihn zu kippen.
Horchem hatte dagegen weit mehr mit Lemke vorgehabt: Lemke sollte auch in Bonn Karriere für die SPD machen, der Verfassungsschutz wollte über ihn dem KGB Falschinformationen zukommen lassen. Die Bremer SPD machte diese Pläne zum Ärger des Hamburger Amtes zunichte. Die östlichen Geheimdienste pflegten anrüchige Informationen zu sammeln, um persönliche Notlagen einschätzen zu können und Erpressungsmaterial zu haben. Lemke will aber auf Fragen nach derartigen diskreditierenden Informationen keine Antwort gegeben haben. Er habe den KGB- Leuten nur die Adressen von SPD- Größen und ähnlich belanglose Informationen gegeben, rechtfertigt er sich heute. Eingelassen habe er sich auf die Kontakte, weil seine Gesprächspartner ihn mit Erklärungen über das Engagement der Sowjetunion für den Frieden geködert hätten. Er habe sich damals als „Sozialist“ verstanden.
Im politischen Umfeld von Lemke waren damals Kontakte zu östlichen Geheimdiensten nicht besonders anrüchig. Willi Lemke heute: „Ich tat es für unseren Staat.“ Als Lemke in Bremen an der Universität tätig war, bewegte er sich mit einigen Leuten aus dem KBW-Umfeld auf einer Etage. Etwa dem heutigen Grünen-Fraktionssprecher Dieter Mützelburg. Von östlichen Geheimdiensten hatte der etwas läuten hören, nicht aber vom Verfassungsschutz – und das wäre in den Hochzeiten der Berufsverbote eine brisante Information gewesen. „Stell dir vor, du arbeitest drei Jahre lang Tür an Tür mit einem, der für den Verfassungsschutz tätig ist.“
Mützelburgs Sekretärin war die Frau, die Lemke 1971 geheiratet hatte: Eva-Marie Lemke-Schulte, heute Bausenatorin in Bremen. Sie ließ erklären, sie habe erst nach dem „Abschalten“ von der Agententätigkeit ihres damaligen Mannes erfahren. Den Eindruck, er habe alles nur wegen des Geldes gemacht, wies Willi Lemke scharf zurück: Wenn er 30.000 Mark bekommen hätte, könnte man das verwerflich finden, er habe aber nur 300 Mark pro Treffen erhalten, was er als „zusätzliches Bafög“ angesehen habe. Später fügte der anerkannte Meister im Entdecken finanzieller Quellen allerdings hinzu, daß er vom Verfassungsschutz monatlich 500 Mark draufbekommen habe. Bei einem Bafög-Höchstsatz von damals 300 bis 400 Mark recht ordentlich. Die paar Hundertmarkscheine seien für ihn „eine Aufwandsentschädigung“ dafür gewesen, daß er einige Jahre Bautzen riskiert habe. Nach seinem Abschiedsbrief an den KGB-Kontaktmann, den er jetzt der Presse vorlegte, begründete Lemke 1975 das Ende der KGB- Kontakte damit, die Tätigkeit als SPD-Bildungsreferent sei nicht mit den „Entspannungsbemühungen der Regierung“ und auch nicht mit seiner Position als Bildungssekretär der Bremer SPD zu vereinbaren. „Für mich ist er ein Held“, kommentierte Werder-Präsident Franz Böhmert das Agentendasein des Werder-Schlemihls, die Mannschaft soll Beifall geklatscht haben, als ihr Trainer Otto Rehhagel die Botschaft überbrachte.
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