■ Streitgespräch: Der Beitrag der Intellektuellen im Bosnien-Konflikt i "Wenn sie wenigstens den Mund hielten"
Der Physikprofessor Anton Misoviecz stammt aus der Nähe von Žepa und gehört zur „Vereinigung für eine multikulturelle Lösung der Bosnienfrage“, die Gewerkschafterin Biljana Karovicz ist aus Sarajevo. Sie bereist Italien, um Mittel auch zur Verteidigung der angegriffenen Gebiete aufzutreiben. Das folgende Streitgespräch fand anläßlich des „Solidaritätsfests für Bosnien“ am 26. Juli 1995 in Rom statt.
Anton MISOVIECZ: Für die Linke und für die Intellektuellen wäre es längst an der Zeit gewesen, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Und das nicht nur durch Demonstrationen oder durch solche Feste wie heute abend, sondern durch sichtbare Zeichen auch der Todesbereitschaft für den Schutz Bosniens. Mich kotzt es langsam an, wenn ich höre: Hast du gesehen, wer heute alles gekommen ist, der Abgeordnete soundso und der Professor X, ja sogar der Rektor der Uni ist da und auch der Filmemacher Y. Ich frage mich, warum sich nicht, wie zu Zeiten des spanischen Bürgerkriegs in den dreißiger Jahren, internationale Brigaden bilden, bei denen auch Intellektuelle mitmachen und so zeigen, daß sie nicht nur leere Phrasen dreschen.
Biljana KAROVICZ: Also, das hätte uns gerade noch gefehlt, westliche Intellektuelle im Bosnienkrieg. Als ob diese nicht schon genug Unheil anstiften mit ihren Rezepten für eine Lösung des Krieges, die im Grunde nur den Blick auf die Realität verstellen. Keiner hat eine klare Idee, aber alle haben Rezepte. Keiner kennt sich wirklich aus, aber jeder weiß, wie man die sicher auf Generationen verfeindeten Menschen wieder zum friedlichen Zusammenleben bringt. Wenn sie wenigstens ihren Mund hielten, diese Intellektuellen und diese Linken.
Anton MISOVIECZ: Die Linke hat immerhin das Verdienst, die Bosnienfrage tagtäglich auf die Tagesordnung zu bringen, denn die Politiker hätten wohl schon längst den Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet, eben weil sie keine Rezepte haben. Außerdem hat die Linke das Verdienst, die Komplexität der Lösungen aufzuzeigen, gerade in ihrer Verworrenheit. Dennoch denke auch ich, daß die vielen Bekundungen und Rezepte allmählich an den Zuhörern und Zuschauern, am Leser und an allen bislang Interessierten vorbeigeht. Es gibt einen Abnutzungseffekt, dessen sich freilich die Intellektuellen nicht bewußt sind. Daher mein Vorschlag, sich lautstark und ausdrücklich auch dem Kampf anzuschließen und so den Serben ihre isolierte Position zu demonstrieren.
Biljana KAROVICZ: Du hast noch immer nicht verstanden, daß der Bürgerkrieg – wie übrigens jeder Bürgerkrieg, der nicht rein territorial verläuft wie etwa der amerikanische – nicht von außen zu lösen ist. Es gibt in der Geschichte kein Beispiel, wo ein Bürgerkrieg anders als durch die beteiligten Parteien beendet und sozusagen „gelöst“ wurde: durch die Niederlage der einen oder der anderen Seite oder durch einen Waffenstillstand und danach vielleicht auch Frieden, das aber nach einer meist sehr langen Zeit des Mißtrauens. Wo immer sich das Ausland eingemischt hat, stand am Ende das Land entweder auf Dauer unter der Herrschaft der externen „Helfer“ oder es begann alles von vorne, kaum hatten diese das Land wieder verlassen.
Anton MISOVIECZ: Dennoch hat zum Beispiel der Einsatz der Intellektuellen im spanischen Bürgerkrieg das Franco-Regime auf immer stigmatisiert.
Biljana KAROVICZ: Na großartig. Und mit dieser Bürde des Stigmas konnte Franco dann fast vier Jahrzehnte herrschen. Nein, wenn die Intellektuellen etwas Vernünftiges tun wollen, sollen sie dafür sorgen, daß sich Angegriffene verteidigen können. Erst wenn der Angreifer merkt, daß die Angegriffenen auf Dauer den Angriffen gewachsen sind, werden sie zum Waffenstillstand bereit sein. Die Palästinenser mußten sich zu der Erkenntnis bequemen, daß die früher immer unterlegenen Juden seit 1948 imstande waren, sich zu verteidigen, wie sich die Israelis nach vier Jahrzehnten Unterjochung der Palästinenser klarwerden mußten, daß diese nicht unterzukriegen sind.
Anton MISOVIECZ: Das läßt sich doch nicht miteinander vergleichen. Wenn du das ernst meinst mit dem Bewaffnen, bedeutet es noch jahrelang Krieg und Blutvergießen. Und die multikulturelle Gesellschaft, die da entstanden war, ist verloren.
Biljana KAROVICZ: Genau das bedeutet es. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, und viele von uns werden noch sterben in diesem Krieg. Was mich immer in Rage bringt – weniger den Politikern gegenüber, weil die ja ihren Wählern Patentlösungen anbieten müssen, sondern gegenüber den Intellektuellen, die doch denken gelernt haben sollten –, ist, daß niemand dieser Tatsache ins Auge zu schauen wagt. Der Krieg ist nicht diplomatisch zu lösen, solange die eine Seite hoffnungslos unterlegen ist. Ich verlange ja gar nicht, daß die linken Intellektuellen uns Lösungen anbieten, ich verlange auch nicht, daß sie unsere Situation verstehen. Im Gegenteil, gerade weil ich denke, daß niemand von außerhalb sie wirklich versteht, verlange ich, daß sie sich da raushalten. Es ist doch faktisch schon alles versucht worden: Geldangebote an die Serben, wenn sie uns in Frieden lassen, Drohungen mit Embargo und mit Vergeltungsschlägen und auch tatsächlich einige Angriffe, Übereinkünfte mit allen Seiten, die zwei Tage oder zwei Stunden danach schon wieder zerfetzt wurden. Hier tobt ein Krieg, man kann sagen, unter Wilden, unter Barbaren, und ich schließe da auch unsere Seite keineswegs aus. Aber es hat noch nie eine Hochkultur gegeben, die aus Barbaren harmlose Lämmer gemacht hat.
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