piwik no script img

Der Barbier von Bebra (17)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Lutz hat Hunger und sucht Schutz vor dem Bartmörder.

Lutz turnte im Treppenhaus herum. Auf klappernden Clogs war er zunächst zu den Briefkästen vorgedrungen: Weigle, Güzel, Haseloff, Becker, Gerdes, Passig, Kowalsky, Rönneburg, Ripplinger, Denker. Dann hatte er tief in die mitgeschleppte Seemannskiste gegriffen, Rathenow-Autogrammkarten herausgeholt und sie wahllos in die Kästen gepremmst.

Viel hilft viel, dachte Lutz und ginsterte im Parterre umher. Seine Klingelattacken blieben erfolglos. Frau Güzel war außer Haus. Sicherlich zu Tisch, dachte Lutz.

Bald begann er sich zu langweilen. Er pflanzte sich auf die Treppe, zog einen Kuli aus dem Blouson und schrieb an die Wand: „Der Schnee geht seinen Weg ins Exil / des Himmels.“ Untendrunter schrieb er: „Lutz was here.“ Zufrieden betrachtete er sein Werk und beschloß, noch ein Peace-Zeichen hinzuzufügen. Aber es kam nur eine Art Mercedesstern dabei heraus.

Nun versuchte er es mit dem Haus vom Nikolaus. Nach zwanzig vergeblichen Anläufen war kein Platz mehr an der Treppenhauswand frei. Böse krickelte Lutz alles wieder zu.

„Wird's denn gehen?“ fragte Gisela Güzel. Sie war schon vor einer Weile ins Haus gekommen und hatte dem Spektakel armverschränkt zugesehen.

Lutz stockte der Atem, als er die schöne Kommissarin sah. Seine rechte Hand schnellte nach vorne. Er rang nach Worten, aber das einzige, was er hervorbrachte, war: „Lutz! Kontakt!“

Balla-balla, dachte Gisela Güzel und ging kopfschüttelnd an Lutz vorbei zu ihrer Wohnungstür.

Lutz mußte handeln. „Sie sind doch Polizei“, druckste er die Kommissarin an. „Und ich bin Lutz und brauche Schutz!“ Rappelnd zog er die Seemannskiste hinter sich her.

„Dann geh doch nach drüben“, sagte Gisela Güzel und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Lutz war traurig. Seinen ersten Westkontakt hatte er sich anders vorgestellt. „Diese unmenschliche soziale Kälte!“ schnaufte er. „Aber steter Tropfen höhlt den Stein.“ Er verlegte sich aufs Dauerklingeln.

„Hau ab“, rief Gisela Güzel durch die geschlossene Tür.

„Aber Sie müssen mir doch helfen!“ maulte Lutz. „Ich werde verfolgt! Man trachtet mir nach dem Leben! Hilfe! Hilfe! Help!“

Die Tür öffnete sich. „Tatsächlich?“ Die Kommissarin war äußerst skeptisch.

„Ja doch! Der Bartmörder ist mir auf den Fersen! Und ich habe auch schon einen Verdacht!“

„Na dann.“ Widerstrebend ließ Gisela Güzel den Knöterich herein. Auch der kümmerlichsten Spur und dem windigsten Hinweis mußte schließlich nachgegangen werden.

Kaum in der Wohnung, riß Lutz seine Kiste auf. „Ich habe Ihnen auch was mitgebracht, Frau Kommissar. Schauen Sie mal rein. Es soll Ihr Schade nicht sein.“ Er nötigte ihr ein Papierkonvolut auf, das Lutz-Original- Spezial-Paket de luxe. „Hab' ich alles selbst geschrieben“, sagte er stolz. „Gedichte, Fast-Stücke und Tramödien.“

„Was?“ Gisela Güzel hatte nicht zugehört.

„Ja. Tramödien. Eine Mischform aus Komödie und Tragödie. Meine eigene Erfindung!“

Ermattet betrachtete Gisela Güzel den bärtigen Mann und ging in die Küche, um sich mit einem Quantum Bushmills gegen kommende Schrecken zu wappnen. Lutz watete hinterdrein. Sie zögerte, schenkte dann aber auch ihm ein Glas ihres Lieblingswhiskys ein. „Sie haben etwas von einem Verdacht gesagt. Also?“

Lutz nickte gewichtig. „Jaha. Ich habe recherchiert!“ Er beroch seinen Malzwhisky. „Kann ich auch Süßstoff?“

Gisela Güzel sagte gar nichts.

„Und vielleicht auch einen Happen zu essen?“ Sehnsüchtig schielte er zum Kühlschrank hinüber.

Fortsetzung folgt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen