: Der Bär in der Brust des Mannes
■ Legenden der Leidenschaft tritt gegen die Postmoderne an
Ein Held wird geboren. Die Bärenkralle muß der kleine Tristan mit einer Wunde in der Brust bezahlen, die ihn sein Leben lang keine Ruhe unter den Menschen finden läßt – bis er dem Grizzly wieder gegenübersteht.
Wahrheit in jeder Form hat bekanntlich Konjunktur. Da ist es nicht verwunderlich, daß Edward Zwick mit seinen Legenden der Leidenschaft nun den Mythos vom echten, freien Mann wiederaufleben läßt. Eigentümlich ist an der neuen Rückwärtsströmung, daß sie angesichts postmodern verdorbener Spielkinder doppelte Kraft aufbringen muß, um ihre Wirkung zu tun. Darum kommt im Kampf gegen Emanzipation, Verbildung und Technik alles zum Einsatz: Familie, Liebe, Indianer, Jagd und Urwald. Das Potpourri der Romanvorlage Herbstlegenden macht's möglich. Unglaublich wirklich wird's durch Landschaften verschluckende Kamerakranfahrten und porentiefe, emotionsreine Größtaufnahmen.
Harmonisch ist das Ranch-Leben von Tristan (Brad Pitt) mit seinen beiden Vätern, dem von der städtischen Ehefrau verlassenen, indianerfreundlichen Ex-Colonel (Anthony Hopkins) und dem verwitweten Ex-Stammeshäuptling Ein Stich (Gordon Tootoosis). Es ist die Zivilisation – die Nachricht vom 1. Weltkrieg und die kultivierte Stadtpflanze Susannah – die das Gleichgewicht von Mensch und Tier im Manne stört . Der Bär in der Brust erwacht.
Tristan wird nun große Qualen erleiden, denn die lieben Nächsten verschlingt nacheinander der mörderische Schlund der modernen Welt. Aber als er auf dem Hügel über dem Heim das weiße Kreuz für den soldatentoten Bruder mit Tränen begießt, schweift der Blick über den glitzernden Fluß und wird vom Gedanken an Freiheit und Trost geblendet – das wilde Tier im Herzen bäumt sich auf.
Senkrecht unter uns wallt der Ozean über die gesamte Leinwand, dann schlägt sich die Kamera durch kreischende Lianen, ent-blößt bald vögelnde Körper, bald rosafarbene Panther. Brad Pitts Barthaar wächst und verfilzt zusehends, so daß der endgültige Sieg des Grizzlybären nahe scheint. Doch im Helden ist der Mensch unbesiegbar, nur gemeinsam mit dem Tier kann er untergehen. Die bis dahin so perfekte Technik stirbt mit, vergißt das Scharfstellen, das Spulen – und nimmt die Legende mit ins bewahrende Ende.
May Mergenthaler
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