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Der Anschlag auf den Kanzler- kandidaten

■ Oskar Lafontaine hat das Attentat überlebt. Nun sprießen die Spekulationen über die Auswirkungen des Anschlags auf den niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Wahlkampf. Die NRW-Spitzenkandidaten Rau und Blüm sagten genauso wie auch der niedersächsische Herausforderer Schröder für gestern sämtliche Wahlveranstaltungen ab. Doch Lafontaine wird möglicherweise schon bald wieder selbst in den Wahlkampf einsteigen.

Nach dem ersten Erschrecken und schieren Entsetzen über das Kölner Attentat auf Oskar Lafontaine begann bei den Wahlkämpfern in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen noch in der Nacht zum Donnerstag das Nachdenken über die Folgen des Anschlags für die Endphase der beiden Landtagswahlkämpfe, die mit dem Urnengang am 13. Mai enden. Lafontaine hatte bis zu seinem Auftritt in Köln schon sechs Wahlveranstaltungen in NRW absolviert, weitere acht Großkundgebungen in NRW und 14 Wahltermine in Niedersachsen sollten folgen. Eine Kampagne, die für den Saarländer mehr bedeutete als nur die Unterstützung zweier Landesverbände. Für ihn ging es nicht zuletzt auch darum, den Boden für seine Kanzlerkandidatur auch in jenen Landstrichen zu bereiten, in denen der SPD-Vordenker vor allem wegen seiner Antiatomkraft- und Antinachrüstungspolitik einst wenig gelitten war - wie etwa bei den Helmut-Schmidt-Fans im Revier.

Die NRW-SPD selbst verband mit dem Wahlkampfeinsatz von Lafontaine im Kampf um die politische Macht in Düsseldorf die Vorstellung, daß dieser Repräsentant der „neuen“ SPD, den alle maßgeblichen NRW-SPD-Politiker „als für die Partei unersetzliche Verkörperung der SPD der 90er Jahre“ betrachten, daß es ihm gelingen könne, die zwischen SPD und Grünen schwankenden Wähler an die eigene Partei zu binden und über seine Deutschlandpolitik die zu den Reps abdriftenden marginalisierten Wohlstandsverlierer bei der sozialdemokratischen Stange zu halten.

Während in NRW Johannes Rau möglicherweise auch ohne Lafontaine seine Position hätte verteidigen können, war der Albrecht-Herausforderer Gerhard Schröder auf Lafontaine viel direkter angewiesen. Lafontaine hoffte sich auch hier selbst helfen zu können, „denn wenn wir eine eigene Mehrheit im Bundesrat erringen“, so der Kandidat am Dienstag dieser Woche, „dann bekommen wir den Fuß in die Tür, um Kohls deutschlandpolitische Abenteuer zu kontrollieren“.

Wer die ersten Auftritte Lafontaines im Revier verfolgt hat, konnte erleben, daß seiner Mobilisierungsfähigkeit hier Grenzen gesetzt sind. Nach einem müden und kühlen Auftakt in Bottrop und Duisburg kam der Kanzlerkandidat in Mülheim und Bochum zwar zusehends besser an, aber erst der Auftritt in Köln geriet zu einem ersten Höhepunkt. Diese Entwicklung wurde durch den Anschlag jäh gestoppt.

In Zukunft wird Lafontaine, der am Donnerstag mittag nach Auskunft von SPD-Parteichef Vogel „über den Berg war“, daran wohl anknüpfen können. Nach Auskunft der Ärzte bestehe die Hoffnung, daß Lafontaine keine bleibenden Schäden davontragen werde. Für den heutigen Donnerstag sagte Johannes Rau ebenso wie sein Kontrahent Norbert Blüm sämtliche Wahlkampftermine ab. In einer Erklärung der SPD hieß es, „daß in diesen Stunden der Besinnung auf die Menschlichkeit sich die Gewißheit bei jedem eingraben sollte, daß persönliche Diffamierung und Hetze auch im Wahlkampf keinen Platz haben darf“.

Die NRW-Grünen erklärten in einem Schreiben an Oskar Lafontaine: „Mit Entsetzen und Wut haben wir von dem Anschlag vernommen. Wir sind froh, daß Sie außer Lebensgefahr sind. Es ist schlimm, daß oft die Besten solchem Wahnsinn zum Opfer fallen.“

Walter Jacobs, Düsseldorf

Wahlkampf unterbrochen

Im niedersächsischen Landtagswahlkampf hat nach dem Attentat nur der SPD-Spitzenkandidat Gerhard Schröder seine gestrigen Wahlkampftermine abgesagt. Den SPD-Politiker, der mit Lafontaine politisch eng verbunden und auch persönlich befreundet ist, hatte die Nachricht von dem Anschlag am Ende einer Wahlkampfveranstaltung in Wolfsburg erreicht: Bleich und keiner weiteren Worte fähig harrte Schröder noch eine Weile an seinem Platz aus und verabschiedete sich schließlich mit dem einen Satz: „Ich muß jetzt nach Hause.“

Nachdem er sich beim SPD-Bundesvorsitzenden Vogel gestern morgen über den Gesundheitszustand von Lafontaine informiert hatte, zeigte Schröder dann vor der Presse Verständnis dafür, „wenn die anderen Parteien einige Veranstaltungen nicht absagen“. Nur Wahlkampfveranstaltungen mit Unterhaltungscharakter, so haben inzwischen die Wahlkampfleitungen von CDU und SPD vereinbart, sollen in Niedersachsen ausfallen oder im Charakter verändert werden.

Erst in der letzten Woche vor dem 13. Mai wollte der saarländische Ministerpräsident sich mit 15 öffentlichen Auftritten und zahlreichen weiteren Terminen fast ausschließlich der Niedersachsenwahl widmen. Gerhard Schröder ging gestern davon aus, „daß es längere Zeit dauert, bis Oskar Lafontaine wieder aktiv in das politische Geschehen eingreifen kann“. Als Ersatz sollen nun auf acht der mit Lafontaine geplanten Kundgebungen die SPD-Politiker Vogel, Engholm und Momper auftreten. Schröder warnte gestern davor, „politische Auseinandersetzungen in persönliche Diffamierungen ausarten zulassen, um nicht ein Klima zu erzeugen, in dem Haß und Gewalt gedeihen kann“.

Jürgen Voges, Hannover

Mehr Sicherheit?

Nach einer noch in der Nacht angesetzten Fraktionssitzung gab der SPD-Vorsitzende Vogel am frühen Donnerstag morgen in Bonn zunächst die „erfreulichste“ Meldung bekannt: Lafontaine sei wohl „über den Berg“. Alle Wahlkampftermine von Lafontaine, so Vogel weiter, würden vorerst von GenossInnen übernommen. Diese Art von Solidarität sei in einer solchen Situation selbstverständlich.

Knapp drei Stunden später unterrichtete der SPD-Vorsitzende noch einmal über den aktuellen Stand. Lafontaine habe, wußte Vogel inzwischen zu berichten, offensichtlich seinen Humor wiedergefunden, jedenfalls habe er die meisten Fragen mit einem Kopfschütteln beantwortet. Die Frage, ob der Kanzlerkandidat der SPD weiterhin Oskar Lafontaine heiße, beantwortete Vogel mit einem eindeutigen Ja.

Welche Konsequenzen sich für die Partei und den SPD -Wahlkampf durch das Attentant ergeben könnten - dazu konnte und mochte der SPD-Vorsitzende zu diesem Zeitpunkt keine Angaben machen. Die Partei sei selbstverständlich wichtig, sagte Vogel, aber im Moment stünden für ihn der Mensch Lafontaine und dessen Genesung im Mittelpunkt seines Interesses.

„Mit Befremden“ reagierte der SPD-Vorsitzende auf Vorwürfe, die inzwischen gegenüber der Polizei erhoben worden waren. Vogel nannte solche Vorwürfe „nicht haltbar“. Und „ich werfe auch niemandem vor“, so Vogel weiter, „daß er bei einer normalen Wahlveranstaltung keine Blutkonserven in Reserve hat“. Vogel stellte schließlich die Frage, wo wir „in der Demokratie, in der wir leben“, hinkämen, „wenn man nicht mal mehr Blumen überreichen kann“. Mehr Sicherheit sei „nur mit den Glaskästen von 1969 oder 1973“ zu erreichen. Wer „mehr Sicherheit“ wolle, dem stünde frei, „das zu tun“.

Johannes Rau, der mit Lafontaine gemeinsam die Wahlkampfveranstaltung in Köln bestritten hatte, scheint noch immer unter den Folgen eines schweren Schocks zu stehen. In den Stunden nach dem Attentat hatte Rau, der auch unmittelbarer Tat- und Augenzeuge des Anschlags war, jeden Kommentar abgelehnt. Erst gestern meldete Rau sich zögernd zu Wort. Rau, der für Donnerstag alle Wahlkampfveranstaltungen absagte, wünschte sich, daß Wahlkämpfe so geführt würden, daß die Wahlkämpfer sich ihrer „Verantwortung bewußt“ seien und „keinen Haß säen“.

Anna Jonas, Bonn

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