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Archiv-Artikel

Der Altmeister sprengt die Grenzen

Kurz vor der Premiere sorgt Johann Kresniks Kafka-Spektakel im stillgelegten Bremer Güterbahnhof für einen großen Knall und fordert Opfer in der freien Szene: Unter dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist ein zum Bassin umfunktioniertes Gleisbett geplatzt

Von bes

Kurz vor der Premiere hat sich die Spannung entladen. Mitten in der Nacht. „Das muss ein Knall wie von einer Bombe gewesen sein“, sagt der technische Direktor des Bremer Theaters, Matthias Nitsche. Die Kellerräume, in denen Musiker der freien Szene Proberäume und Studios betreiben, waren sofort geflutet, noch am Vormittag war eine benachbarte Unterführung überschwemmt: Unter dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist im Bremer Güterbahnhof eine Trennwand zwischen zwei Gleisbetten eingestürzt.

Zum Bassin umfunktioniert war sie Teil der Kulisse für die szenische Fassung von Kafkas Romanfragment „Amerika“. Copyright: Johann Kresnik, bekannt durch sein Tanz-Theater, das Grenzen auslotet. Früher auch gedankliche. Zuletzt aber in erster Linie physikalische – und haushalterische: In Bonn, wo er seit drei Jahren als Hauschoreograf wirkt, hat sich die Platzausnutzung halbiert und von den überregionalen Feuilletons nimmt allein die ihm in treuem Hass verbundene F.A.Z. noch regelmäßig seine Bombastik-Shows wahr. Um sie mit beißendem Spott zu überziehen. In Bremen, wo er einst, Ende der 1960er Jahre, das politische Tanztheater erfand – und das war wirklich eine Bühnenrevolution –, zogen seine Inszenierungen jedoch immer ihr Publikum: Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ im U-Boot-Bunker Valentin, die erregt von der regionalen Geistlichkeit vorab diskutierten „Zehn Gebote“ – das waren Triumphe der Amtszeit von Generalintendant Klaus Pierwoß. Und Kresniks Kafka-Paraphrase hat der als vorletzte Premiere und letzten großen Knaller seiner Ära fest eingeplant. Für Schlagzeilen hat sie immerhin schon gesorgt.

Kisten werden hochgeschleppt, Bongos, Schlagzeuge, Anlagen, Mischpulte, die Sachen stapeln sich wild im Hof, ein großer Laster wird beladen. Im Kellerflur dröhnen drei Nass-Sauger, der Estrich ist feucht. Der Gang durch die kleinen Räume, wo Auslegware den Schall dämpft, gleicht dem über eine Feuchtwiese: Bei jedem Schritt tritt Wasser aus dem Boden.

Am Morgen, sagt Carlos, der hier ein Tonstudio hatte, sei er durch die Brühe gewatet. Bis drei Uhr in der Nacht war er noch mit Samplen beschäftigt gewesen, als er dann um zehn wiederkam „dacht’ ich, die Hütte ist abgebrannt“. Er war ohnehin eher genervt von den Theaterleuten: Das Hin und Her mit schwerem Gerät, eine Etage höher, verträgt sich nicht mit Tonaufnahmen. Damit aber verdient Carlos seinen Lebensunterhalt.

Er gilt so ein bisschen als der wilde Mann hier, aber davon ist gar nichts zu merken: Carlos wütet nicht, er schimpft nicht einmal, flucht höchstens vor sich hin und die Augen sind geweitet. „Das ist meine ganze Existenz“, sagt er.

„Unsere Sachen“, stellt Theatertechniker Nitsche fest, „haben gehalten.“ Nur eben die Wand nicht: Die sah aus wie durchgemauert. Einen Hohlraum hatte niemand dort vermutet, auch die Baupolizei nicht, die grünes Licht gegeben hatte fürs Einrichten des Bassins. Ein Fall für die Versicherung.

Weggesprengt liegen Backsteine im Schacht. Pfützen glänzen auf der schwarzen Plane. Ein dunkles Boot, das bei der Aufführung durch den Kanal gondeln sollte, liegt leicht schräg, als wäre Ebbe. Gerade war die Bauaufsicht wieder da: Proben und Aufführungen sind genehmigt. Und Kresnik? „Dann verzichten wir halt aufs Wasser“, hat der sofort entschieden. Und festgestellt, dass „die Baustelle als Kulisse auch geeignet“ sei. Furztrocken. bes