: Der Albtraum vom Fliegen
Gegen Flugangst hilft keine Statistik und kein tausendmal wiederholtes Mantra, dass Autofahren um ein Vielfaches gefährlicher ist. Oder doch? In Flugangst-Seminaren wird genau an diesem Punkt angesetzt. Ein Selbstversuch
von Eiken Bruhn
Luftkissen. Viele kleine und große Luftkissen tragen das Flugzeug. Sicher liegt es auf ihnen auf, hat in 10.000 Meter Höhe quasi noch Bodenkontakt. Quasi. Quasi weiß ich auch, dass Fliegen eine vergleichsweise ungefährliche Art der Fortbewegung ist, Flugzeuge wegen der hohen Sicherheitsanforderungen quasi gar nicht abstürzen können. Quasi reicht mir aber nicht. Angst vorm Fliegen hätte ich auch, wenn der weltweit letzte Flugzeugabsturz vor 50 Jahren passiert wäre und wenn mir 77 Weissagerinnen prophezeit hätten, dass ich 100-jährig friedlich im Schlaf sterben würde.
Flugangst lässt sich nicht mit Verweisen auf Statistiken weg diskutieren. Die Angst ist irrational und hat mit Flugzeugen ungefähr so viel zu tun wie die Bordverpflegung mit Gourmet-Küche. Flugangst gibt es nämlich gar nicht, hinter der vermeintlichen Flugangst stecken fast immer andere Ängste, sagen diejenigen, die es wissen müssen, Angstforscher und Autoren von Ratgeberliteratur á la „So wird der Flug ganz prima“.
Die Teilnehmer des Seminars gegen Flugangst, mit denen ich an einem Freitagabend Anfang März in einem fensterlosen Raum im Flughafen Bremen sitze, bestätigen die These. Klaustrophobie, Angst vor Kontrollverlust, eine generelle Lebensangst, die zu Panikattacken in verschiedenen Situationen führt – wir sind durchschnittlich flugängstlich. Ungewöhnlich sei die Gruppenzusammensetzung, sagt der Seminarleiter, Frank Eisenberg. Normalerweise säßen 80 Prozent Frauen vor ihm, heute abend sind es vier Männer und zwei Frauen. Eigentlich nur drei Männer, denn einer – derjenige, der am meisten redet und den muntersten Eindruck macht – begleitet nur seine volljährige Tochter, die es offensichtlich schwer hat, ihm klar zu machen, dass sie keine zwölf mehr ist. Ob hier ein Zusammenhang… Selbst wenn, darum geht es jetzt nicht. Eisenberg ist kein Psychotherapeut, der Ursachenforschung betreibt, sondern er setzt an den Symptomen an. Deswegen kann er uns auch leider nicht versprechen, dass wir nach den acht Stunden Seminar begeistert in den Flieger steigen werden. Und: „Ganz los wird das niemand.“
Seit drei Jahren bietet der Pädagoge und Hobbypilot seine Seminare im ganzen Bundesgebiet an, sie ähneln in Aufbau und Inhalt denen anderer Berater und Ratgeber. Zum einen lernen wir Entspannungstechniken kennen, zum anderen informiert er über Angstentwicklung und Aerodynamisches. Schon nach zwei Stunden hat Eisenberg zumindest mich so weit, dass ich Turbulenzen für das Normalste der Welt halte. Ein Wolkenfeld? Alles klar, jetzt wird’s unangenehm. Unter uns sind Berge? Na, dann geh’ ich jetzt besser nicht auf’s Klo. Auch für Turbinen-Ausfälle fühle ich mich gewappnet, weiß ich doch jetzt, dass selbst Jumbos noch weite Strecken im Segelflug zurücklegen können. Nur die Vorstellung, Terroristen hätten ausgerechnet mein Flugzeug als Transportmittel ins Jenseits ausgewählt, bleibt auch nach Seminarende noch sehr plastisch. Dagegen kann auch der leibhaftige Pilot nichts ausrichten, der uns sein Flugzeug von innen zeigt. Das sei doch alles von den Medien aufgebauscht, findet er und stellt sich im Gegensatz zu mir als vollkommen phantasielos heraus. Ob er das nicht komisch finden würde, so hoch oben in der Luft, verantwortlich für all die Passagiere… „Nö.“ Er sieht nicht so aus, als hätte er eine ungefähre Ahnung von dem, was ich meine. Ein gutes Zeichen.
Nur vier Tage nach dem Seminar betrete ich wieder ein Flugzeug. Viereinhalb Stunden habe ich vor mir, als Belohnung für ausgestandene Ängste winkt Sonnenschein auf den Kanaren. Weil ich mir dennoch vorstellen kann, dass ich kurz vor dem Start kneife, habe ich mich am Vorabend zur Sicherheit von meinem Akupunkteur präparieren lassen: In jedes Ohr hat er mir eine klitzekleine Metallkugel geklebt, auf der ich zwecks Beruhigung herumdrücken soll. Das tue ich, bis ich das Gefühl habe, mir ein Loch durch die Ohrmuschel zu stanzen. Gleichzeitig stelle ich mir die Luftkissen vor, wiederhole mantraartig alle Quasis, die ich im Seminar kennen gelernt habe und verbiete mir jede Fantasie über mögliche Absturzursachen. Auf diese Weise gelingt es tatsächlich, den Flug ohne größere Panikattacken zu überstehen, streckenweise sogar zu vergessen, dass ich Fliegen bescheuert finde. Dennoch bin ich kurz davor den Boden zu küssen, als ich zwei Wochen später wieder in Bremen aus dem Flugzeug steige. Und unter uns: In Behandlung gehören diejenigen, die sich nicht fürchten, wenn Fremde sie in Blechkisten durch absurde Höhen katapultieren.
Nächstes Seminar: 12./13. Mai, Flughafen Bremen. Kontakt: 05693-91 55 40