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Archiv-Artikel

Der Abkühler

„Wenn wir um die Macht in den Fakultäten kämpften, kam der Thomas undhat uns abgekühlt“

AUS BERLIN GEORG LÖWISCH

Manchmal verflucht er die Technokratenwelt. Herrgott, diese Abkürzungen. „Das ganze Politikchinesisch!“ GA für Gemeinschaftsaufgaben, KdU für Kosten der Unterkunft. Er macht eine wegwerfende Handbewegung. Modulation in der Landwirtschaft. Föderalismusreform. „All dieser Kram“, murrt er. „Da weiß doch kein Mensch, was das ist.“ Thomas de Maizière sitzt in seinem Büro im Kanzleramt. Draußen vor dem Fenster ist es kalt und diesig. Schnupfenwetter. Hier drin ist es warm und ruhig. Durch die Scheibe sieht man Autos Richtung Spree und Richtung Tiergarten vorbeiziehen, lautlos, wie im Fernsehen, wenn der Ton abgestellt ist.

Er ist ja selber so eine Abkürzung. Chef BK. Kein Mensch hier drin schreibt Kanzleramtschef oder Kanzleramtsminister. Aber es ist seine Welt. Er ist 51 Jahre alt, sein Berufsleben hat er in Ministerien und Regierungszentralen verbracht. Und eben erklärt er, dass Merkel ihn genau deshalb ausgesucht hat, dass das überhaupt das Prinzip sei bei dieser Regierung. Fast alle im Kabinett waren schon Minister oder wenigstens Oberbürgermeister. Bei der Union ist das so und bei der SPD ist das auch so. „Das finde ich interessant und das ist kein Zufall. Es war klar: Jetzt muss regiert werden. Und es muss handwerklich professionell gearbeitet werden.“ So mögen sie es in der CDU: Merkel und die Profi-Handwerker sind da.

De Maizières Sätze klingen kühl. „Hartz IV ist ja völlig übersteuert“, sagt er. Nur manchmal schwärmt er auch, etwas sei eindrucksvoll oder jemand arbeite spielerisch. Er liebt das Instrumentarium des Regierens. Es muss nur klingen. Abkürzungen knarren und scheppern, das kann de Maizière nicht brauchen. „Er spielt virtuos auf dem Apparat, aber er ist kein Apparatschik“, sagt Michael Sagurna. Die beiden haben unter Biedenkopf in Sachsen gearbeitet. Sagurna war Regierungssprecher, de Maizère Chef der Staatskanzlei. „Er arbeitet leise, holt sich Rat und entscheidet. Zick bum.“

Ein Kanzleramtschef bestimmt das Tempo und den Rang von Entscheidungen. Eine Minute oder ein Jahr. Beamtenebene oder im Kabinett. Er sucht Fehler und erspürt, wo gerade ein Problem entsteht. Er schlichtet zwischen den Ministern, möglichst, bevor sie ihren Streit in die Öffentlichkeit verlegen. Er muss ständig lernen, einschätzen, beschließen. „Vielleicht 50 Entscheidungen am Tag. Große und ganz kleine, wichtige und weniger wichtige.“ De Maizière schiebt die Unterlippe ein wenig vor. Er guckt nicht so, als ob er das für viel hält. Er muss natürlich in Merkels Sinne entscheiden. Ihre Büros liegen auf derselben Etage. Aber er kann nicht 50 Mal rüberlaufen und sie fragen. „Die Kunst des Stabschefs ist, sich nicht zu sehr nach vorne zu drängen“, sagt er. „Aber die anderen müssen auch wahrnehmen, dass man mehr ist als ein Büroleiter.“

Sein Autorität benötigt keine riesenhafte Erscheinung. Drahtige 1,73 Meter. Immerhin klingt die dunkle Stimme ein bisschen mächtig. Sonst hat er nur seine Sachkenntnis. Vor Besprechungen arbeitet er sich durch den Stoff, wie er das früher vor Klassenarbeiten gemacht hat. Er hat ein gutes Kurzzeitgedächtnis. Aber er hat sich auch vorgenommen, nicht viel schlechter in den Themen zu stehen als die anderen Minister. Das wird hart bei 14 Ressorts.

Elefanten, die aufeinander losgehen, zu beruhigen, ist Routine. Das war immer seine Rolle. Er hat einen Freund, den Arzt Reinhard Erös, der in Afghanistan und Pakistan Schulen und Krankenhäuser aufbaut. Die beiden haben Anfang der 70er in Freiburg studiert. Sie gehörten zu den Konservativen, zur Minderheit. „Wenn wir Hitzköpfe um die Macht in den Fakultäten kämpften, als ginge es um Sein oder Nichtsein, kam der Thomas immer mit dem Wassereimer und hat uns abgekühlt.“

Berlins Lobbyisten und Fernsehstars lassen ihn unbeeindruckt. Er lästert über A-, B- und C-Promis und über Scheinriesen, die schrumpfen, wenn man sie aus der Nähe sieht. Mächtige sind für ihn etwas Normales. Sein Vater ist 93 Jahre alt, bis 1972 war er der oberste General der Bundeswehr. An der Bundeswehr-Führungsakademie hatte er de Gaulle zu Gast, Thomas und seine drei älteren Geschwister lebten damals in einem Backsteinhaus auf dem Akademiegelände. Im Krieg als junger Offizier arbeitete Ulrich de Maizière im Büro neben Stauffenberg, und im Generalstab erlebte er, wie Hitler ausflippte. Wenn der Vater solche Geschichten erzählen kann, ist das Berlin von Sabine Christiansen und Udo Walz ziemlich klein.

Er ist stolz auf den Vater, aber er würde nie mit ihm angeben. Die Medien waren ganz aufgeregt, als in Merkels Kabinettsliste der französische Name auftauchte. Vater General, Cousin der letzte DDR-Regierungschef, die ganze deutsche Geschichte in einer Familie, man konnte meinen, die Kennedys seien wiedergeboren worden. Sandra Maischberger hat Thomas und Lothar de Maizière in ihre Talkshow gesetzt und bei der BamS haben sie einen Stammbaum von der alten Hugenottenfamilie gezeichnet. Er reibt sich die Stirn. „Ist natürlich ehrenvoll. Aber nun ist es mal gut.“

Er kann Glamour nicht leiden. „Dieses Brioni-Cohiba-Getue, dieses Mal-dies-mal-jenes, das ist ihm so zuwider“, sagt sein Freund Erös. Er arbeitet lieber mit dem Apparat, geht auf Augenhöhe mit den Beamten, ermuntert sie, offen zu sein. „Sie sind doch der, der sich auskennt“, sagt er dann. Wenn sich einer ausbreitet wie ein Pfau, forciert er das Fragetempo. „Drängen zum Handeln und zur Entscheidung, ohne ungeduldig zu sein oder gar vorschnell zu reagieren“, so hat es sein Vater 1964 von Generalstabsoffizieren gefordert.

Es ist schwer zu sagen, wo so einer politisch steht, einer, der gern lautlos arbeitet und Konflikte leise löst. Zuletzt war er in Sachsen Innenminister. Ein Sondereinsatzkommando hatte irrtümlich die Wohnung einer Dresdner Familie gestürmt und ihre zwei Hunde erschossen. Die Überwältigten waren ausgerechnet ein Polizist und seine Freundin, die im Innenministerium arbeitete. Eigentlich galt die Aktion dem Bruder der Frau, einem Rotlicht-König, der im Obergeschoss wohnte. De Maizière hat sich nicht entschuldigt. Er hat die Opfer angegriffen. „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“

Thomas de Maiziére ist ehrgeizig. Er versucht, das Regieren zu perfektionieren. „Er ist als Kanzleramtschef optimal eingesetzt“, sagt Friedbert Pflüger. Pflüger, heute Staatssekretär im Verteidigungsministerium, kennt de Maizière auch aus der Studentenzeit. Er hat ihn 1983 seinem Chef, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, als Redenschreiber empfohlen. Das war Richard von Weizsäcker. De Maizière stellte sich vor. „Er hat es ausgezeichnet gemacht“, erinnert sich Pflüger.

Jetzt macht er das schon seit 20 Jahren mit dem Regieren. Er hat bei Weizsäcker gelernt, welche Macht im gesprochenen Wort liegt und wie man zu Menschen einen persönlichen Draht sucht. Eberhard Diepgen hat ihm vorgemacht, wie man aus einer dicken Akte auf Seite 37 den faulen Punkt herausfischt. Bernd Seite, der Tierarzt im Ministerpräsidentenamt, hat ihm gezeigt, wie man Politik für Mecklenburger Bauern und vorpommersche Seeleute verständlich macht. Biedenkopf hat ihn strategisches Denken und Argumentationstricks gelehrt, und unter Biedenkopfs Nachfolger Milbradt hat er besichtigen können, wie schwer es ist, wenn man nicht genug Talente an sich binden kann.

Referent, Staatssekretär, Staatskanzleichef, Landesminister: Spricht de Maizière über seine Laufbahn und seine Chefs, kommt er nie ins Plaudern, sondern charakterisiert und sagt, was er wo gelernt hat. Er ruft sie ab, wie von einem präzisen Vermerk. Diepgen: „Typ Oberstadtdirektor.“ Weizsäcker: „Einer meiner großen Lehrmeister.“ Milbradt: „Ein unglaublicher Steher.“

De Maizière hat 2001 in Sachsen nicht gegen Milbradt gekämpft, um selbst Biedenkopfs Nachfolger zu werden. „Ein Hauptgrund war: Ich wollte nicht den Verlust jeder Form von Privatheit. Da waren die Kinder auch noch kleiner. Wenn die Frage noch mal käme, wüsste ich nicht, wie ich mich verhalten würde. Aber ich werde nie einen Beitrag zum Sturz eines Ministerpräsidenten leisten. Das widerspricht meinem Verständnis von Loyalität.“

Er fängt auch gerade erst an in Berlin. Er freut sich darauf, diese größte Machtmaschine Deutschlands zu durchschauen. Er hat das Gefühl, unter Profis zu sein, bei der Kabinettsklausur werden sie ihren Strategieplan für 2006 entwerfen. Er überlegt, wie er den Apparat etwas unter Druck setzen kann, um bürokratische Regeln abzubauen. Er wundert sich über Merkels fotografisches Gedächtnis und amüsiert sich, wenn sie mal wieder Stimmen imitiert.

Vor der Fensterscheibe nieselt es. Er sagt Glaskasten zu seinem Büro. Im Sommer war er noch draußen. Durch die Oberlausitz ist er mit dem Rad gefahren. Die Leute beim Fleischer und am Gartenzaun wollten wissen, was mit Hartz IV wird und was die Polizeireform in Sachsen für sie bedeutet. Wilthen, Kirschau, Cunewalde, es war sein Landtagswahlkreis. Er hat ihn 2004 erobert, im Wahlkampf hat er seine erste Politik-Radtour gemacht. Solche Begegnungen waren neu für ihn. „Am Anfang hat es mich Überwindung gekostet. Nachher hab ich das gern gemacht.“ Er legt Nachdruck in die Stimme. Alle anderen Ämter hat er übertragen bekommen, er ist befördert worden und ernannt. Die Lausitzer haben ihn gewählt. Er sagt, dass es ihm extrem schwer gefallen sei, diese Mandat für den Landtag für das Berliner Amt aufzugeben.

Vielleicht ist es wirklich so: Die Gemeinderäte und Ortsvereinsvorsitzenden tuckern im Ausflugsdampfer auf der Spree am Kanzleramt vorbei und blicken ehrfürchtig auf die Mächtigen. Und drinnen sehnt sich ein Technokrat danach, bei Radtouren und Feuerwehrfesten zu glänzen.