piwik no script img

Der ANC sucht eine neue Strategie

■ Heute beginnt in Durban der erste Kongreß des südafrikanischen ANC seit der Legalisierung/ Die Basis ist mißtrauisch gegenüber Präsident de Klerk und unzufrieden mit der eigenen Führung

In der Hafenstadt Durban am Indischen Ozean kommen heute mehr als 2.000 Delegierte des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) zusammen, um die erste Konferenz der Organisation auf südafrikanischem Boden seit über dreißig Jahren abzuhalten. Das Treffen ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Südafrikas: Eine neue neunzigköpfige Exekutive wird gewählt, durch Abstimmungen über Einzelfragen werden die Delegierten die Strategie des ANC bei seinen zukünftigen Verhandlungen mit der Regierung bestimmen und damit auch, mit welcher Geschwindigkeit Südafrika eine neue Verfassung und eine demokratisch gewählte Regierung erhalten wird.

Die Delegierten vertreten mehr als 500.000 ANC-Mitglieder in 850 Ortsverbänden. Die etwa 40.000 noch im Exil lebenden ANC-Leute, darunter vor allem Mitglieder der ANC-Armee „Umkhonto we Sizwe“ („Speer der Nation“), haben eigene Vertreter entsandt. Außerdem werden offizielle Gäste aus aller Welt erwartet, von Vertretern der chinesischen KP bis hin zu zahlreichen afrikanischen Diplomaten, deren Länder nie zuvor Repräsentanten nach Südafrika geschickt haben.

Allgemein wird erwartet, daß der Kongreß eine jüngere Exekutive mit engerer Bindung an die ANC-Basis wählen wird. Spannungen innerhalb des ANC haben in den letzten Wochen und Monaten zu intensiven Debatten in der Öffentlichkeit geführt. Der derzeitigen ANC-Führung wird mangelnde Konsultation mit der Basis und mit Verbündeten wie dem Gewerkschaftsbund Cosatu vorgeworfen. Militante Flügel innerhalb des ANC meinen auch, daß die „alte Garde“ der ANC-Führer in Verhandlungen mit der Regierung zu viele Konzessionen gemacht hat. Deshalb wird erwartet, daß eine Reihe jüngerer Oppositionsführer aus den Gewerkschaften und internen Oppositionsgruppen, die nicht ins Exil geflüchtet waren, in die ANC-Führung vorrücken werden. Verhandlungen mit der Regierung werden deshalb in Zukunft wohl hartnäckiger, mit weniger Konzessionsbereitschaft geführt werden als bisher.

ANC und Regierung sind sich einig, daß der nächste Schritt im Verhandlungsprozeß die Einberufung einer Vielparteienkonferenz ist. Diese soll über das Forum für die Ausarbeitung einer Verfassung und über erste Verfassungsgrundlagen entscheiden. Das würde mehrere Monate in Anspruch nehmen. De Klerk meinte im Parlament letzte Woche, daß eine Vielparteienkonferenz schon vor Ende des Jahres einberufen werden könnte. Aber diese Hoffnung gründet sich auf unrealistischen Optimismus.

Denn nicht zuletzt die immer wieder aufflammende politische Gewalt in schwarzen Wohngebieten hat das Mißtrauen innerhalb des ANC gegenüber der Regierung gestärkt. ANC-Sprecher Saki Macozoma meint, daß die Regierung Gewaltausbrüche „wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen kann“, um die Arbeit des ANC zu stören. Auch wenn Südafrikas Staatspräsident de Klerk von der Abschaffung der Apartheid spricht, glaubt ihm der ANC nicht. „De Klerks Pläne sind ein Versuch, weiße Privilegien abzusichern und zu festigen, während es den Anschein haben soll, als ob sie etwas politische Macht an schwarze Gemeinschaften abgäben“, meint Zola Skweyiya, Leiter der ANC-Abteilung für Verfassungsfragen. „De Klerks Nationale Partei [NP] versucht, einen Übergang zu schaffen von rassengestützter zu klassengestützter Macht.“

Denn obwohl seit dem 1. Juli die diskriminierenden Land- und Bevölkerungsgesetze nicht mehr gelten, ist die Apartheid noch immer nicht endgültig begraben. „Apartheid ist NICHT tot“, verkündete vergangenen Dienstag 'Sowetan‘, Südafrikas größte Tageszeitung für Schwarze. Es folgte eine Liste von mehr als einem Dutzend diskriminierender Gesetze, die nach wie vor gelten. Dazu gehört beispielsweise das Verteidigungsgesetz, das die Wehrpflicht nur für weiße Männer vorschreibt. Aber im Zentrum steht die Verfassung, die unterschiedliche politische Rechte und soziale Institutionen für Weiße, Mischlinge, Inder und Schwarze vorschreibt. Die in der Verfassung vorgesehenen „eigenen Angelegenheiten“ verschiedener Rassengruppen bleiben bestehen. Dazu gehören getrennte Schulen, mit einem kraß minderwertigen Schulsystem für Schwarze. Und schwarze Rentner müssen weiterhin mit weniger Geld auskommen als weiße.

„Apartheid ist nicht tot“

Bestehen bleiben auch die Homelands, jene Kreationen der „großen Apartheid“, die zu unabhängigen Staaten heranwachsen und so die Ausbürgerung aller Schwarzen aus dem „weißen“ Südafrika erwirken sollten. Vier der zehn Homelands gelten für de Klerk noch immer als „unabhängig“, ihre acht Millionen Bürger nicht als Südafrikaner. Auch ein Kind, das heute das Unglück haben sollte, in diesen Gebieten geboren zu werden, würde nicht als Südafrikaner akzeptiert werden.

Doch sogar die Abschaffung von Rassenklassifizierung, getrennten Wohngebieten und den Landgesetzen ist nicht so eindeutig, wie es scheint. „Leider sind die letzten Säulen [der Apartheid] auf streng legalistische Weise entfernt worden“, meint Sampie Terreblanche, Wirtschaftsprofessor an der burischen Elite-Universität Stellenbosch. Es habe keine „kompensierenden Maßnahmen für den schrecklichen Nachlaß von 80 Jahren der Fragmentierung sozialer und wirtschaftlicher Lebensmuster“ gegeben. Das unterstütze die Ansicht, daß „die Abschaffung gesetzlicher Apartheid ein cleverer Zug war, um Apartheid zu privatisieren und bestehende Strukturen hauptsächlich weißer Privilegien und hauptsächlich schwarzer Armut ungestört weiterleben zu lassen“.

So treten parallel zur Abschaffung der Rassentrennung in Wohngebieten neue Bestimmungen in Kraft, die „bestehende Normen“ schützen sollen. Das interpretieren farbige Politiker als einen Versuch, ärmeren Schwarzen den Zugang zu weißen Wohngebieten zu verwehren. Und in Regierungsplänen zur Bildung nichtrassistischer Kommunalverwaltungen werden den bestehenden rassisch getrennten Verwaltungen so große Vollmachten eingeräumt, daß außerparlamentarische Oppositionsgruppen Verhandlungen in diesem Bereich boykottieren wollen.

In diesen Zusammenhang stellt ANC-Abteilungsleiter Skweyiya die Versuche der NP, schwarze Mitglieder und Allianzpartner zu finden. Vor allem unter Mischlingen und Indern hat die NP schon erhebliche Erfolge erzielt. Führende Regierungsmitglieder hoffen sogar, daß sie durch Zusammenarbeit mit Konservativen aller Rassen eine Mehrheit erzielen können. So will die NP für Weiße Garant des Wohlstandes sein; gemäßigten Schwarzen, Mischlingen und Indern will sie Schutz vor dem „Kommunismus“ des ANC bieten. „Umfragen deuten an, daß dies möglich ist“, sagt Steven Friedman von der Johannesburger Witwatersrand-Universität. De Klerk, so der Wissenschaftler, „kann Dinge liefern — Arbeit, Behausung, Polizeischutz —, die seine Gegner nicht liefern können“. Hans Brandt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen