: Depressive Last-Minute-Sieger
Osnabrück dreht gegen Holstein Kiel einen 0 : 2-Rückstand noch in einen 3 : 2-Sieg und erhält sich damit seine Aufstiegschancen. Die Kieler stehen nach der Last-Minute-Niederlage vor dem Gang in die Oberliga
Am Ende ist im Stadion an der Bremer Brücke niemand, der das gerade Geschehene fassen kann. Deprimiert hocken die Kieler Spieler auf der Ersatzbank, die Körperhaltung ist von Endzeitstimmung geprägt. Auch die Fußballer des VfL Osnabrück stehen unter Schock. Dabei hätten sie allen Grund zur Freude, haben sie doch mit dem 3 : 2 (0 : 1)-Sieg über Holstein Kiel den Abstand zu den Aufstiegsrängen der Regionalliga verkürzen können.
Die „Störche“ aus dem Norden finden sich hingegen seit Samstag auf einem Abstiegsplatz wieder und kaum einer glaubt hier mehr an eine Rettung. Noch lange nachdem das Spiel vorbei ist, sitzen Trainer Peter Vollmann und sein Anhang schweigend auf ihren Stühlen. Aufmunternde Klapse wirken halbherzig und hilflos. Aufbauende Worte verkneifen sich die enttäuschten Anwesenden.
Den bitterbösen Akzent der Partie hatten noch wenige Minuten zuvor die 7.500 Osnabrücker Zuschauer geliefert. Nachdem die Kieler durch Pavel Dobry (43.) und Dimitrijus Guscinas (65.) verdient mit 2 : 0 in Führung gegangen waren, bejubelten sie jeden Ballkontakt der Gäste frenetisch. Die eigenen Spieler wurden ausgepfiffen, angeschrien und ausgelacht. Dass der viertplatzierte VfL, der 15 Spieltage lang als souveräner Spitzenreiter die Liga anführte, dabei ist, die allerletzte Chance auf den Zweitligaaufstieg zu verspielen, ist für die Fans auf den Rängen nur mit blanker Häme zu verkraften.
Dazu passt, dass Trainer „Pele“ Wollitz in seiner Coaching-Zone kaum noch in Erscheinung tritt. Assistent Rolf Meyer macht letzte Versuche, die Mannschaft nach vorn zu peitschen. Doch unengagiert trippeln die Lila-Weißen über den Platz. „Manchmal geht es einfach nicht“, sagt Mittelfeldspieler Joe Enochs nach seinem 358. Spiel für den VfL – ein Rekord, für den er am Samstag geehrt wurde.
Wollitz findet deutlichere Worte. Mangelnde Ehrlichkeit kritisiert er bei seinen Spielern, die die Probleme nicht bei sich selbst suchen würden. „Wir brauchen Leute, die Selbstvertrauen haben, die mit Freude Fußball spielen, und das habe ich heute nicht gesehen.“ Hohe Erwartungen hatte Wollitz auch vor dem Spiel nicht. Wir wollen den Abstiegskampf nicht verfälschen, hatte er als Parole ausgegeben. Sieht so Motivation aus? Osnabrücker Pessimismus schon.
Der Kieler Abwehrspieler Sven Boy hatte allerdings eine Viertelstunde vor Spielschluss ein Einsehen mit den leidenden Niedersachsen und hielt den Osnabrücker Stürmer-Star Addy-Waku Menga ungeschickt am Arm fest. Als der Gefoulte den Strafstoß selbst ausführen will, bricht ein Pfeifkonzert über den Platz, zu armselig war die Vorstellung des Angreifers bisher.
Doch als Menga zum Anschluss trifft, ist alles vergessen. Osnabrück bäumt sich noch einmal auf und Kiel – immerhin kurz vor Schluss in Führung liegend – stellt jede Gegenwehr ein. So fällt es dem Kapitän der Niedersachsen, Thomas Reichenberger, der zuvor nach einer rüden Grätsche hätte vom Platz fliegen müssen, nicht schwer, die Wende zu vollenden. Per Kopf (81.) und Volleyschuss (88.) trifft er ganz unbedrängt in die Maschen, dreht so das Spiel und versenkt Kiel im Liga-Keller.
Trotz des dramatischen wie glücklichen Finales verschwinden die meisten Spieler nach dem Schlusspfiff sofort in der Kabine. Zum Feiern in der Fankurve ist der Mannschaft nicht zu Mute – zu extrem waren die Reaktionen der Zuschauer. Auf den Rängen ist die Erleichterung größer als die Freude über den Sieg. Zwar sind die Osnabrücker nun wieder ärgster Verfolger des Spitzenduos aus Magdeburg und St. Pauli, große Hoffnung ist aber nicht zu spüren. Das haben die Protagonisten aus Kiel und Osnabrück an diesem Tag gemeinsam. HEIKO OSTENDORF