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Archiv-Artikel

Denker im Himmel

Es gibt keine Schönheit, in die nicht viel Arbeit investiert werden muss: Hans-Peter Kunischs feiner Buden-Roman „Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein“

Vor wenigen Tagen beschrieb Hans-Peter Kunisch Jostein Gaarders Auftritt auf dem Berliner Literaturfestival, und wieder fehlte der erlösende Satz. Der erlösende Satz, das ist die Meinung des Kritikers, das, woran man sich reiben oder dem man zustimmen kann. Der 1962 geborene Literaturkritiker Kunisch beließ es bei der Beschreibung. Er sprach von den Protesten gegen Gaarder, der vor einiger Zeit ein antisemitisches Pamphlet veröffentlicht hatte, zeichnete auch Gaarders linkische und halbherzige Selbstverteidigung nach, vermied aber das scharfe Urteil. Erst bei der genauen Lektüre von Kunischs kurzer Beschreibung zeigte sich, dass er Gaarders Pamphlet ablehnt.

Ebenso wenig wie der kleine Feuilletontext ist der Debütroman von Kunisch, der den umständlichen Titel „Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein“ trägt, „meinungsstark“, „ausdrucksstark“ oder „face-to-face“. Auch nach genauester Lektüre weiß man nicht, was der Autor will. Ein eigentliches Thema hat sein Roman nicht. Auch der Titel führt in die Irre: Um Wirtschaftsfragen geht es in diesem Roman nicht. Immerhin hat er ein Zentrum, einen typischen Wochenmarkt, für Münchener unschwer als Viktualienmarkt zu erkennen. Kunischs Markt bleibt namenlos, er gilt im Roman als poetisches Abbild der Welt. Allerlei mehr oder weniger skurrile Figuren tauchen auf: leidenschaftliche Werber, Fotografen, Bürgerkriegsflüchtlinge, Händler, die mit kurzen Strichen skizziert werden und manchmal sogar Dinge können, die dem Menschen gemeinhin verwehrt sind. Die „Denker“ etwa kreisen am Himmel und „räkeln“ sich „in der Luft“. Eingeleitet wird Kunischs Roman durch Betrachtungen der philosophisch begabten Kuh Rosa, die auch aus dem Roman wieder hinausführt, nur: „So schließt sich kein Kreis.“ Pjotr, Rachid, Waldau & Wegener, Maria, Lia und Lotte und einige andere Figuren treffen sich auf dem Markt, trinken am naheliegenden Moststand und tauschen sich aus. So entwickelt sich um einen kleinen Platz des Marktes die ganze Welt. Kunischs Figuren kennen Ägypten genauso wie ihre Stadt, sie treffen auf seltsame Leute und werden hin und hergeschoben, Leid und Freude lösen sich ab. Der letzte Satz lautet: „Die Verkäuferin des Gemüsesstandes erzählt einer Kundin von spanischem Regen, der Kartoffelhändler wischt sich die Hände an der Schürze ab, ein dürrer Mann mit einem roten Hemd unter einer dunkeln Wildlederjacke hält sein Mostglas gegen die Sonne und überlegt, was sich verändert hat.“

Die Antworten überlässt Kunisch den Leserinnen und Lesern. Er wirft Fragen auf, erzählt Geschichten, doch er behält ihren Sinn, die Moral von der Geschichte, die Bedeutung für sich. Das liest sich sehr schön, auch wenn falsche Genitive und einige schräge Bilder verdeutlichen, dass das Buch noch ein genaueres Lektorat verdient gehabt hätte. Kunisch benutzt eine feine, an der Romantik geschulte Sprache, mit der er oft haarscharf am Kitschigen vorbeigleitet, die zunächst anstrengend, weil ungewohnt wirkt, bald aber in ihren Bann schlägt. Auch das Symbolische wird etwas zu oft herbeibemüht, eine starke Neigung zu den Texten von Hofmannsthal oder Rilke ist zu spüren. Das aber sind Kleinigkeiten, denn Kunisch hat nichts weniger als einen schönen Roman vorgelegt, und Schönheit ohne Mühe, das wissen die Freundinnen und Freunde symbolistischer Literatur, gibt es nicht. JÖRG SUNDERMEIER

Hans-Peter Kunisch: „Die Verlängerung des Markts in den Abend hinein“. Ein Roman in Buden. Blumenbar, München 2006. 258 Seiten, 18 Euro