: „Den Widerstand fest im Alltag verankern“
Wie will Jochen Stay (35) leben? Ohne Atomkraft. Die Grünen als Regierungspartei, sagt der Sprecher der Aktionsgruppe „X-tausendmal quer“, seien dafür nicht zu gebrauchen. Der Aktivist und Hausmann will das Land verändern, indem er an der Basis arbeitet. Die Regierung ziehe dann schon nach
Interview: MATTHIAS URBACH
taz: Jochen, gegen Dich wird ermittelt.
Jochen Stay: Ja. Während der Castorproteste wurde ich ja in Gewahrsam genommen. Nun versucht man mir, den Aufruf zu Straftaten und Rädelsführerschaft anzuhängen - was immer das bedeuten soll.
Auch der Verfassungsschutz sammelt Daten über Dich.
In der Zeitung der Polizeigewerkschaft ist gerade eine dreiseitige Zusammenstellung des Verfassungsschutzes über „X-tausendmal quer“ erschienen. Da werden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und mit Kommentaren in einen anderen Sinn gestellt.
Mit welchem Ziel, glaubst Du?
Die wollen zeigen, das wir alle in Wirklichkeit gewalttätig seien; uns diskreditieren.
Fühlst Du Dich noch wohl hier in Deutschland?
Manchmal denke ich, ich fühle mich zu wohl. Ich werde ja auch abgehört, will mich davon aber nicht beeinträchtigen lassen. Wenn ich am Telefon über Beziehungsprobleme rede, versuche ich nicht zu denken, „blöd, dass einer mithört“, sondern „blöd für den, der das abhören muss“. Aber manchmal denke ich, ich sollte mich mehr empören.
Ist verdrängen nicht wichtig, um die Kraft zum Weitermachen zu haben?
Das denke ich auch und so lebe ich. Aber das der Staat uns Anti-Atom-Aktivisten keine Privatsphäre mehr läßt, ist trotzdem erschreckend. Ein Anwalt hatte Einsicht in Abhörprotokolle von Vorstandsmitgliedern der BI Lüchow-Dannenberg - da wurden sogar Telefonate der Kinder, die sich mit Freunden verabredeten, gesammelt.
Du schreibst für die „Graswurzelrevolution“. Würdest Du Dich als Anarchist bezeichnen?
Im Prinzip ja, aber nicht in erster Linie. Vorher bin ich Mensch, Vater, Anti-Atom-Aktivist, Autor und dann irgendwann auch noch Anarchist.
Du willst eine andere Republik?
Ach, große Worte. Es geht mir mehr um die Menschen: Wenn ich auf der Straße Flugblätter verteile, höre ich immer wieder, „man kann ja doch nichts ändern“. Dagegen anzugehen, ist mein Hauptmotiv. Dass es lohnt, sich einzumischen und nicht alles den vermeintlich Mächtigen zu überlassen. Wenn das Anarchistisch ist, bin ich Anarchist. Man kann das auch als aktiven Verfassungsschutz sehen.
Das sieht das Amt anders.
Ich würde sagen, die eigentlichen Vefassungsfeinde sind andere. Wenn ein Meiler hochgeht, stellt das unsere ganze Gesellschaft in Frage.
Der Verfassungsschutz sieht die Atomfrage nur als ein Vehikel für Umsturzversuche.
Das Problem ist ja, dass man als Anarchist gleich so ein Etikett auf der Stirn kleben hat: Der ist Ideologe und alles was er tut, macht er nur deshalb. Bei mir ist es eher umgekehrt. Mich gegen diese gefährliche Technik zu wehren, ist mein eigentliches Motiv. Das andere folgt daraus. Mit der Einführung der Atomkraft, stößt die parlamentarische Demokratie an ihre Grenzen.
Gilt das auch für die Grünen?
Ihr Versuch auf parlamentarischen Wege etwas zu ändern, ist gescheitert. Nur Veränderungen an der gesellschaftlichen Basis führen zu anderem Regierungshandeln.
Das ist ja ein alter Streit. Vor gut 20 Jahren, als Zehntausende in Brokdorf demonstrierten, ohne die Atomkraft stoppen zu können, sah das ein großer Teil der Bewegung anders: Und schickte die grünen Listen in die Parlamente.
Spielbein und Standbein hieß das damals. Ich sah das immer als Fehler: Das Parlament ändert die Personen mehr, als die Personen das Parlament.
Wie ändert sich dann etwas?
Die Erfahrung der Antiatom-Bewegung zeigt: Immer wenn politischer Druck da ist, ändert sich auch was - ganz egal, wer gerade regiert. Das war schon in Whyl so, später bei der geplanten WAA in Gorleben, wo Ernst Albrecht sagen musste: „Das ist technisch machbar, aber politisch nicht durchsetzbar.“ Und es war ausgerechnet Frau Merkel, die den Transportstopp durchsetzte. Es ist immer eine Frage des politischen Klimas.
Und Grüne würden das nicht vielleicht doch ein wenig besser machen?
Im Gegenteil: Die haben es eher schwerer. Trittin hätte doch den Transportstopp nie durchsetzten können. Das war ja ein informeller Stopp - und Merkel konnte durch ihre guten Kontakte die Atomindustrie überzeugen, besser die Transporte pausieren zu lassen.
Wenn ein Meiler nach 32 Jahren vom Netz kommt, ist das nicht besser als die Genehmigungen auf 60 Jahre zu verlängern, wie es die USA derzeit machen?
Der Atomkonsens ergibt 35 Betriebsjahre und bisher sind noch alle AKWs hierzulande vor dieser Frist aus technischen oder ökonomischen Gründen abgeschaltet worden.
Neue Kraftwerke wie das in Neckar-Westheim lassen sich viel länger in Betrieb halten.
Durch den Transportstopp waren wir ganz nahe dran, die Meiler zu verstopfen. Ohne Entsorgungsweg muss ein AKW vom Netz. Nun verschafft Trittin der Atomindustrie Luft, indem er die Lagerung am Standort ermöglicht.
Hat sich Deiner Meinung nach wirklich nichts verbessert?
Im Gegenteil. In der Regierung sind die Grünen eher schädlich. Denn eines musste ich lernen: Früher habe ich immer gesagt, wir brauchen keine Grünen im Parlament, die Bewegung ist stark genug. Nun fehlt uns eine lautstarke grüne Opposition.
So war es also doch richtig, vor zwanzig Jahren die Grünen ins Parlament zu schicken? Erst die Regierung war der Sündenfall?
Naja, man vergleicht das immer mit dem, was man vorher hatte. Wenn schon Grüne, dann wenigstens als Opposition.
Das wird Guido Westerwelle wohl ähnlich sehen. Was hältst Du eigentlich von der niedersächsischen Fraktionschefin der Grünen, Rebecca Harms?
Rebecca Harms ist ein besonderer Fall. Ihre Loyalität zur Bewegung ist noch immer einen Deut größer als zur Partei.
Christian Ströbele?
Auf dem taz-Kongress kam schon raus, dass er von den Dingen, die ihm wichtig sind, im Parlament nichts erreichen kann. Aber immerhin gibt er ihnen eine öffentlich wahrnehmbare Stimme. Als Claudia Roth und Kerstin Müller im Wendland auf den Trecker geklettert sind, das hat viele geärgert. Da kam abends in der Tagesschau nur Claudia Roth - und nicht, was hier wirklich lief.
1997 hast Du mit Trittin und Kerstin Müller noch eine gemeinsame Pressekonferenz vor dem Castor abgehalten. Warum gibt es überhaupt keine Zusammenarbeit mehr?
Es ist diese Frage von Loyalität und von verschiedenen Rollen. Trittin ist das Regieren wichtiger als der Ausstieg.
Birgit Huneke von der BI Lüchow-Dannenberg klagt: „Wir verpassen unsere Karrieren und vernachlässigen unsere Kinder.“ Stimmt das?
Wenn der Castor kommt, kann ich mich nicht mehr um meine beiden Kinder kümmern. Das ist hier allgemein so: Wenn die Polizisten eintreffen, werden die Kinder zu Freunden außerhalb geschickt. Seit 24 Jahren leistet das Wendland Widerstand. Anderswo hört das politische Engagement nach dem Studium auf, wenn man sich auf Job und Familie konzentriert. Hier haben wir den Widerstand fest im Alltag verankert.
Opferst Du dafür Deine Karriere?
Nein. Ich mache genau, was ich will.
Du bist also quasi Berufspolitiker.
Ich bin vielleicht von Berufung Politiker, aber ich verdiene kein Geld damit. Ich bin vorrangig Hausmann: Wir leben zur Zeit davon, dass meine Frau arbeiten geht, und ich mich um die Kinder und das Haus kümmere. Und wir halten unseren Lebensstandard möglichst niedrig. Aber da bin ich vielleicht eine Ausnahme: Andere haben die Dreifachbelastung von Familie, Beruf und Politik.
Ist das schlecht für die Bewegung?
Leider gehen immer wieder gute Leute verloren, weil sie sich irgendwann doch auf ihren Beruf konzentrieren müssen. Freunde von mir arbeiten an der Gründung an einer Bewegungsstiftung, um für die Bewegung wichtigen Leuten eine finanzielle Perspektive zu geben.
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