■ Debatte: Den Krieg geschürt
DEBATTE
Den Krieg geschürt
Die aktuelle Diskussion um Intervention wird als abstrakter Prinzipienstreit geführt. Notwendig ist, auf die dem Krieg zugrunde liegenden politischen Probleme einzugehen, um Möglichkeiten einer politischen Lösung zu finden. Die Formel vom „Aggressor Serbien“, der aus bloßem Eroberungsdrang unbeteiligte Länder überfällt, versimplifiziert die Dinge.
Die Serben hätten 2/3 von Bosnien besetzt, lesen wir. etwa 1/3 aller Serben lebt außerhalb Serbiens, ein Großteil davon in Bosnien. Schon vor dem Krieg waren 60 Prozent der Fläche Bosniens überwiegend von Serben bewohnt. Die von Moslems und Kroaten beschlossene Herauslösung Bosniens aus dem jugoslawischen Bundesstaat schuf eine neue Grenze zwischen Serbien und den bosnischen Serben. Diese hatten keinen Zweifel gelassen, daß sie es nicht hinnehmen wollen, wenn getrennt wird, was nach ihrer Auffassung zusammengehört. Trotz der absehbaren Folgen drängte vor allem der deutsche Außenminister auf die völkerrechtliche Annerkennung Bosniens. Am Tag danach begann der Krieg.
Dies ist nicht Schnee von gestern: Nach der Anerkennung ist die Verteidigung dieser Grenze, so zufällig sie auch sein mag, der deutschen Regierung wichtiger als ein schnelles Kriegsende. Dabei ist nicht zu begründen, warum nun, nachdem die staatliche Integrität Jugoslawiens sehr schnell aufgegeben wurde, nun die Grenzen der Teilrepubliken zur Not sogar mit UNO-Einsätzen verteidigt werden sollen.
Tudjman will nun die „besetzten Gebiete Kroatiens“ mit Waffen „befreien“. Die Hamburger Grünen hat er da auf seiner Seite: sie forderten, die „Belagerung kroatischer Dörfer“ müsse durch UNO-Friedenstruppen „beendet werden“. Dabei ist der Kern dieses Gebiets seit Jahrhunderten von Serben bewohnt, die durch Volksabstimmung ihren Anschluß an Serbien gefordert haben. Die Bundesregierung sollte die Milliarden, die man für einen Kampfeinsatz gerne zu Verfügung stellen würde, Kroatien als Wirtschaftshilfe anbieten — unter der Bedingung, daß die kroatische Regierung konstruktiv an einer politischen Lösung des Krajina-Problems mitwirkt. Würde Frankreich gleiches mit Serbien tun, wäre auch in diesem Fall die Chance für einen Kompromiß gegeben. Intervention muß nicht immer Bestrafung durch Waffeneinsatz heißen, sie kann auch im Anbieten von Wirtschaftskooperation bestehen. Hierüber nachzudenken hat man anderthalb Jahre Zeit gehabt. Das einzige, was geschehen ist, war, die verschiedensten Modelle von Militäreinsätzen durchzuspielen.
Ein derartiges „Nachgeben“ gegenüber den Serben ist auch für viele Linke ein Tabuthema. Sie halten an der Geschlossenheit Bosniens fest, um ein letztes Stück Multikulturalität zu verteidigen. Angesichts der Tatsache, daß 85 Prozent der bosnischen Wähler für eine nationale Partei ihrer jeweiligen Volksgruppe gestimmt haben, wohl leider eine Illusion. Manche neigen auch dazu, jedes Entstehen eines neuen Staates grundsätzlich gut zu heißen. Sie urteilen nach dem Kolonialkampfschema etwa so: „Die unterdrückten Völker Jugoslawiens haben sich erfolgreich gegen die serbische Großmacht gewehrt und brauchen nun unsere Hilfe bei der Verteidigung ihrer gerade errungenen Unabhängigkeit.“ Tito war aber Kroate. Die von ihm geschaffene superföderative Verfassung benachteiligte Serbien eher. Das alte „Kolonialkampfschema“ paßt nicht zur jugoslawischen Situation. Die Linke muß m.E. unterscheiden zwischen tatsächlicher nationaler Unterdrückung, wie sie z.B. in Kurdistan, Palästina oder der Westsahara stattfindet, und der augenblicklichen Atomisierung der ehemals 2.Welt, die dem Wesen nach ein Entsolidarisierungsprozeß ist. Paul Tiefenbach
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