piwik no script img

Den Arsch aufgeschnitten

■ »Clowns in the Kitchen«: Ein Stück über Gewalt gegen Schwule im Ensemble-Theater

Ken kommt nicht nach Hause. Eigentlich hätte er nur ein paar Stühle hochstellen und die Tür des Lokals abschließen sollen, um danach mit seinen Kellnerkollegen zum Feierabenddrink anzustoßen. Roger und Billy teilen in der Zwischenzeit eine Flasche hochprozentigen Alkohols mit Shell, die zusammen mit Billy und Ken Jura studiert — doch der Prinz läßt auf sich warten. Billy, verkörpert von Andreas Stadler, ist ein schönes, aber herrisches Ohrfeigengesicht. Er ist beinahe ein wenig wütend, als endlich die Tür aufgeht und sein Liebhaber die WG-Küche betritt — wankend und blutüberströmt. »Ich bin auf der Treppe gefallen«, stammelt der Blondschopf und bricht zusammen.

Am Morgen danach, Ken wurde inzwischen im Krankenhaus notdürftig versorgt, sind die Freunde sich einig, daß Ken von Männern mißhandelt wurde — weil er schwul ist. Damit erschöpft sich allerdings ihre Gemeinschaft. Angesichts der schnöden Gewalt stürzen alle in die Krise. Shell plappert beim Frühstück wie ein College-Girl, um dem böse Zugerichteten wenig mehr als ihre Sprachlosigkeit zu dokumentieren. Ken würgt den miesen Part, den Autor Jeff Hagedorn der einzigen Frau in Clowns in the Kitchen zuweist, mit letzter Kraft ab, indem er dem Dummerchen den Mund verbietet. Dafür muß er nun Shells Verletztheit ertragen, anstatt sich um seinen eigenen, von einer Bierflasche zerschnittenen Hintern zu kümmern. »Es geht mir gut.« Den Gedanken, vergewaltigt worden zu sein, läßt Ken nicht zu.

Auch Billy ist mehr mit Ausweichmanövern beschäftigt. Betrunken von der Arbeit heimkehrend, teilt er der »feigen Schwuchtel« ordentlich aus, um eigene Schuldgefühle zu kaschieren. Während gute Sitten und Beziehungen zusammenbrechen, scheint allein Ken seinen Kopf nicht zu verlieren. Stur nicht zusammenbrechend, wandelt Victor Schefé zeitweilig mit dem Pathos des tödlich verwundeten Jesus von Nazareth über die Bretter und kann schließlich das Unglaubliche artikulieren: wie es ist, zu Brei geschlagen zu werden, ohne sich zu wehren.

Was Hagedorn, selbst von sexueller Gewalt gegen Schwule betroffen, als Lehrstück angelegt hat, funktioniert in der Inszenierung von Donald Berkenhoff auch theatralisch. Abgesehen von Silvia Rachor, die zu Beginn der 80minütigen Vorstellung mit einem Nachpremieren-Tief kämpfte, überzeugten die Schauspieler bei der Abbildung der nicht in ein europäisches Environment übertragenen Wirklichkeit. Die Clowns in der Küche sind in dem Maß mit Klischees beladen wie die Welt, die sie umgibt. Die sparsam ausgestattete Inszenierung der Gruppe »Stücke für die Großstadt« um Holger Steudemann scheute dabei weder zu Tränen rührende noch komische Szenen. Stefan Gerhard

»Clowns in the Kitchen«, Ensemble-Theater, Hasenheide 54, Fr bis Mo, 20.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen