: Demokratie geht vor Profit
Grüne setzen sich in Straßburg durch: Europaparlament verzögert Abkommen mit Weißrußland mindestens bis zum September ■ Von Barbara Oertel
An ihrem letzten Sitzungstag vor der Sommerpause werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments heute etwas früher nach Hause gehen können. Der Grund: Die Stellungnahme zum Abschluß eines Interimabkommens zwischen der EU und Weißrußland wurde kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen. Das Abkommen, das die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den GUS-Staaten fördern soll, war am 25. März vom Ministerrat und der weißrussischen Regierung unterzeichnet worden. In Kraft treten kann es aber erst, nachdem die Parlamentarier sich dazu geäußert haben.
Daß es dazu vor September nun doch nicht kommt, geht vor allem auf die Initiative der Fraktion der Grünen zurück. Deren Abgeordnete und Mitglied des Ausschußes für auswärtige Angelegenheiten, Elisabeth Schroedter, forderte den Ministerrat Ende Mai auf, das Abkommen so lange außer Kraft zu setzen, bis rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze in Weißrußland wiederhergestellt und eingehalten würden.
Im Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen, der in dieser Angelegenheit federführend ist, beurteilte man das Problem offenbar etwas anders. Zwar mußte der stellvertretende Vorsitzende, Michael J. Hindley, für Weißrußland in bezug auf Demokratie und Menschenrechte erhebliche Defizite feststellen. Trotzdem stimmte der Ausschuß am 26. Juni einstimmig für das sofortige Inkrafttreten des Abkommens, „um diejenigen Kräfte zu unterstützen, die sich für marktwirtschaftliche Reformen einsetzen“. Vor wenigen Tagen rang sich Hindley doch noch dazu durch, die Diskussion erst einmal zu vertagen. Ziel des Interimsabkommens ist die Umsetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens, das mit allen GUS- Staaten ausgehandelt werden soll und eine Freihandelszone vorsieht. Es muß vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten ratifiziert werden – im Gegensatz zu den Interimsabkommen, die nicht durch die einzelnen Länder unterschrieben werden müssen.
1995 exportierte die EU laut den vorläufigen Zahlen des statistischen Bundesamtes Güter im Wert von 1,65 Milliarden Mark nach Weißrußland, in die andere Richtung flossen 1,06 Milliarden – mehr als zwei Drittel des Handelsvolumens allein mit der Bundesrepublik. Darüber hinaus gewährte die EU von 1990 bis 1995 mehr als 350 Millionen Mark an Aufbauhilfen.
In Minsk dürfte die Verschiebung des Vertrags auf wenig Gegenliebe stoßen, wie überhaupt jede Kritik an Präsident Alexander Lukaschenko. Der Apparatschik hat seine eigenen Methoden, um Widersacher mundtot zu machen. So berichtete die russische Wochenzeitung Moskovskie Novosti von einem Überfall auf die Soziologin Galina Drakochrust. Drei Männer drangen nachts in die Wohnung ein und schlugen die Frau bewußtlos. Ihr Mann Juri Drakochrust, Radiokorrespondent, hatte den Präsidenten öffentlich kritisiert. Ein Milizionär feuerte nachts auf den Wagen des Abgeordneten Viktor Gonschar – auch er ein Kritiker von Lukaschenko.
Mittlerweile regt sich auch im weißrussischen Parlament Widerstand gegen den Staatschef: Es verabschiedete vor zwei Wochen eine Änderung des Strafrechts. Danach sollen Amtspersonen, die sich nicht an die Entscheidungen des Verfassungsgerichts halten, mit Haft bis zu drei Jahren bestraft werden. Der Adressat ist klar: Lukaschenko. Denn der hatte schon mehrfach per Verordnung die Umsetzung von Entscheidungen angeordnet, die beim Obersten Gericht durchgefallen waren.
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