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SPANNUNGSFELD NORD-SÜDDemokratie für Afrika

Auf dem afrikanischen Kontinent war 1990 das Jahr der Demokratie. Die Freilassung Mandelas hatte Signalwirkung, die Abkehr vom Einparteienstaat gestaltet sich jedoch schwieriger als erwartet. Die alten nachkolonialen Regimes sind in jeder Hinsicht am Ende – doch was kann an ihre Stelle treten? In dreißig Jahren haben es weder die Intellektuellen noch die Politiker geschafft, sich vom Kolonialismus zu emanzipieren. Sie sind unfähig, auf neue Forderungen mit neuen Ideen zu reagieren. Afrika fehlt ein oliticher Diskurs, der Demokratiemodelle für die neunziger Jahre entwickeln könnte.  ■ VON TESSY D. BAKARY

Die Demokratisierungsprozesse in Osteuropa sind ein Ausdruck für das Wiederaufleben und die neue Kraft demokratischer Ideale in Ländern, in denen man sie für immer verschwunden glaubte. Die Legalisierung der Anti-Apartheid-Bewegungen und die Freilassung Nelson Mandelas in Südafrika unterstreichen diese ungewöhnliche ideologische und politische Konstellation in der Welt: ein internationaler Kontext also, der für die Auseinandersetzung um Mehrparteiensystem und Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent vorteilhaft gewesen ist.

Doch bedeutet er kaum einen Sieg demokratischer Ideale. Im Unterschied zu den Ländern des ehemaligen „Ostblocks“ wird ihre Entwicklung und Umsetzung in der afrikanischen Wirklichkeit durch eine starke intellektuelle Abhängigkeit und das Fehlen einer sozialen Basis beeinträchtigt.

Mit Ausnahme von Nigeria, wo die politische Diskussion schon immer sehr lebendig war, wurden politische Veränderungen in Afrika nur selten durch konsequente intellektuelle Arbeit vorbereitet. Die Entkolonisierung und die Unabhängigkeitserklärungen im Zuge der ersten Demokratisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg (Westdeutschland, Japan, Italien) sind ein erstes Beispiel dafür.

Aber der Charakter der nachkolonialen Regimes, die institutionellen Formen der Verwirklichung von Freiheit und Demokratie, für die sich in beiden Weltkriegen viele Afrikaner eingesetzt haben, waren niemals Gegenstand echter politischer und theoretischer Diskussionen. Diese Unfähigkeit der Intellektuellen und der politischen Führung, sich dem Nachkolonialismus gedanklich zu stellen, erklärt zum Teil den Zusammenbruch der von der Kolonialzeit übernommenen politischen Systeme und die darauffolgende Ausbildung ziviler und militärischer autoritärer Regimes.

In den frankophonen Ländern sind wegen der schwachen Bindung der Eliten an demokratische Werte sehr viele Intellektuelle am Aufbau von Einheitsparteien beteiligt gewesen. Zwischen 1945 und dem Ende der 70er Jahre war der demokratische oder autoritäre Charakter des jeweiligen Regimes nie ein wirklich politischer Streitpunkt gewesen. Studien über Benin, Burkina Faso, die Zentralafrikanische Republik, Niger usw. zeigen, daß politische Konflikte sich nicht um Probleme der Demokratie und des Mehrparteiensystems drehten: die jeweiligen Gegner stellten nicht das Prinzip der Einheitspartei in Frage, sondern die kapitalistische und prowestliche Ausrichtung der amtierenden Regimes.

Auch die Abkehr von der autoritären Herrschaft wurde keineswegs intellektuell vorbereitet. Der Bezug auf die Demokratie, die Reverenz, die man ihr erwies, wurden nicht von einem afrikanischen Diskurs über das „westliche Demokratiemodell“ begleitet, das, „wenn es allgemein menschlichen Bestrebungen entspricht, in einer Vielzahl von nationalen Kulturen und Traditionen gedeihen und in vielfältigen, unterschiedlichen Verfassungsstrukturen verwirklicht werden kann“. Die Intellektuellen beschränken sich bestenfalls darauf, ausgetretenen Pfaden eines universalistischen Demokratiediskurses zu folgen. Diese starke intellektuelle Abhängigkeit ist das wichtigste Anzeichen für die innere Schwäche der Demokratisierungsprozesse in Afrika.

Ihnen fehlt das Äquivalent des Kolonisators, eines gemeinsamen Feindes, durch dessen Existenz es gelungen war, die nationalistischen Bewegungen zu vereinen. Weder die Idee eines äußeren Feindes noch moralisierende Diskurse über Korruption noch die Grundsätze der Menschenrechte können ein Bindemittel für die vielfältigen Bewegungen von Widerstand und Massenaufruhr bilden. All das reicht nicht aus, um eine Demokratie zu legitimieren, welche nicht auf die Ersetzung autoritärer Regimes durch rechtsstaatliche Regierungsformen beschränkt werden kann.

Im Unterschied zu den osteuropäischen Ländern vollzieht sich die Ausbildung der Demokratie ohne Bezug auf dringliche soziale Probleme. Außer in Südafrika wird sie nirgends von strukturierten sozialen Bewegungen gestützt, und die politischen Parteien bilden sich vor allem links, ohne wirkliche soziale Basis. Die Unfähigkeit der Opposition, Volksbewegungen zu integrieren, wird deutlich im Aufkommen korporatistischer Forderungen in Gabun und der Elfenbeinküste. Der einem Dominoeffekt vergleichbare Zerfall autoritärer Regimes in den Ländern, in denen sich Demokratisierungsprozesse abzeichnen, beruht auf der Erschöpfung ihrer mageren Ausgangskapazitäten für die Sicherstellung der wirtschaftlichen Entwicklung und nationalen Einheit und nicht auf dem Sieg der Gegner, dem Triumph demokratischer Kräfte.

Wie wenig die Anhänger der Demokratie intellektuell und praktisch darauf vorbereitet sind, zeigt das Fehlen von Strategien, die an die Bedingungen des jeweiligen Landes angepaßt sind. Dies wird durch die Modalitäten der tatsächlichen oder wahrscheinlichen Rückkehr zum politischen Pluralismus deutlich.

Es lassen sich fünf Modalitäten unterscheiden, nach denen das Mehrparteiensystem wiedereingeführt worden ist oder werden könnte:

– die einseitige Entscheidung, Verfassungsänderungen zur Ermöglichung eines Mehrparteiensystems zu beschließen (Elfenbeinküste und vielleicht Kamerun). Sie scheint auf das Vorhandensein einer alternativen Demokratisierungsstrategie zu verweisen.

– Einheitsparteien mit begrenzter Legitimität (Mali, Togo, Zaire) haben informelle Konsultationen über die Zweckmäßigkeit der Wiederherstellung des Mehrparteiensystems eingeleitet. Sie erscheinen eher als hinhaltende Maßnahmen und sind ein Ausdruck der Ratlosigkeit der politischen Führung.

– Der Weg einer Volksabstimmung über die Beibehaltung der Einheitspartei wurde in Sambia gewählt, worin man eine Illustration der Spezifik der anglophonen Länder sehen kann. In den ehemaligen britischen Kolonien gab es die größten Fortschritte der Demokratie auf dem Kontinent (Botswana, Gambia, Ghana, Nigeria), aber auch die schlimmsten Rückschläge (Uganda, Nigeria). Die Idee der Volksabstimmung läßt sich durch die philosophischen und theoretischen Grundlagen der „one party democracy“ erklären (vollständiger oder einge- schränkter Pluralismus bei Kandidaturen für Wahlen im Rahmen einer Einheitspartei), die 1965 in Tansania entwickelt und in Sambia und Kenia verwirklicht wurde, wo die Unterdrückung der Anhänger des Mehrparteiensystems sich verschärft hat. Diese Idee geht außerdem von dem Grundsatz aus, daß das westliche „Modell“ der Demokratie auf Afrika nicht anwendbar ist.

– Sogenannte „Nationalkonferenzen“,“Etats Generaux“ der Demokratie genannt, wurden in Benin und danach Gabun einberufen. Auf ihnen waren die politische Führung, die Opposition und die Repräsentanten verschiedener sozialer Organisationen und Berufsverbände vertreten. Ihr Erfolg gab ihnen Modellcharakter in den frankophonen Ländern, in denen die Opposition sie als einzigen Ausgangspunkt für jeglichen Demokratisierungsprozeß sieht; aufgrund seiner unterschiedlichen Bedeutung setzt sich dieser Modus jedoch nicht überall durch. In Benin drückte die „Nationalkonferenz“ die politische und ideologische Kapitulation eines Staates aus, während sie in Gabun als Mittel zur Kontrolle politischer und sozialer Agitation benutzt wurde.

Liberalisierungsprozesse als Ausdruck einer mehr oder weniger starken Zurückhaltung gab es in zwei Ländergruppen: einerseits Angola, Mosambik, Somalia und Äthiopien, wo die Rückkehr zum politischen Pluralismus zur Beendigung der Bürgerkriege beitragen könnte; und andererseits die Länder der „Ablehnungsfront“ (Burkina Faso, Zentralafrikanische Republik, Ghana, Kenia, Sambia, Simbabwe usw.), deren feindselige Einstellung zum Mehrparteiensystem sich auf dem Widerstand gegen den neuen Kolonialismus gründet, den eine von außen aufgezwungene Demokratisierung bedeuten würde, und durch die Befürchtung, daß politische Parteien sich auf ethnischer Basis bilden und damit die nationale Einheit in Frage stellen. Es gibt, auf den letzten Punkt bezogen, kein Land, in dem eine ethnische Gruppe darauf rechnen kann, allein zu regieren; hier besteht daher nur ein begrenztes Risiko einer Fehlentwicklung.

Inzwischen finden die ersten Wahlen des demokratischen Übergangs statt – Wahlen, die entweder nach dem nigerianischen Modell des verfassungsmäßig auf zwei oder drei Parteien begrenzten Mehrparteiensystems (Guinea, Zaire) abgehalten werden, oder nach dem senegalesischen Modell des „extremen“ Mehrparteiensystems, der Aufsplitterung der Opposition gegenüber der alten Einheitspartei (Elfenbeinküste, Gabun). Das gegenwärtige Warten auf die Ergebnisse dieser Wahlen läßt eine Neugestaltung der politischen Landschaft zu, die bislang von den unterschiedlichen Modalitäten der Rückkehr zur Demokratie relativ unbeeinflußt scheint.

Zu diesem Artikel siehe die Farbkarte auf Seite 85

Tessy D. Bakary arbeitet an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Laval-Canada in Toronto.

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