Demagogie: Einladung zur Hetze
Der Unternehmerverband AGA gibt dem Bremer Emeritus Gunnar Heinsohn die Gelegenheit, sein Unterschichten-Bashing bei einem Festvortrag zu verbreiten.
Neben 500 Euro und einer Feier bekommen besonders erfolgreiche Azubis des Groß- und Außenhandels in Bremen dieses Jahr vom Unternehmerverband AGA auch Indoktrination spendiert: Die Festrede zum Ausbildungspreis 2010 hält am 21. September in der Stadtwaage der umstrittene Bremer Emeritus Gunnar Heinsohn. Thema: "Folgen falscher Anreize im Sozialsystem".
Als "grob fahrlässig" kritisiert das Horst Frehe, sozialpolitischer Sprecher der Grünen in der Bürgerschaft. "So jemanden lädt man nicht ein, wenn man einen Ausbildungspreis vergibt."
Das ist keine unbegründete Vorabverurteilung. Denn Heinsohns Thesen zum Thema sind bekannt: Im Frühjahr hatte er sie in Welt und FAZ lanciert. In den Artikeln entwarf er das Panorama einer Gesellschaft, der einerseits "Leistungsträger" fehlen, die andererseits bedroht ist durch eine aggressiv sich vermehrende Unterschicht. Die Sozialhilfe eröffne Karrieren für "Mädchen, die beizeiten schwanger werden, um Ansprüche aufbauen zu können". Die Jungen würden, von Sozialhilfe abgeschnitten, kriminell. Ihnen empfiehlt der Sozialpädagoge, nicht geboren zu sein, denn: "Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen."
Begründet hatte der "Autor vielbeachteter Bücher und Aufsätze zur Demographie" - so die AGA-Präsentation des Festredners - seine biologistisch gefärbten Ausführungen mit willkürlich ausgewählten Statistiken. Heinsohn hatte sie suggestiv in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gebracht, was nur als grober methodischer Schnitzer - oder aber demagogische Absicht zu erklären wäre. Beispiel: Dass die Mordrate in New York von 1990 bis 2008 um 80 Prozent gefallen ist, stellt er als Folge der Beschränkung der US-Sozialhilfe auf fünf Jahre dar, die seit 1997 gilt. Genauso gut hätte er im selben Zusammenhang auch erwähnen können, dass sich die Zahl der Gefängnisinsassen in den Vereinigten Staaten im selben Zeitraum mehr als verdoppelt hat. Aber das passt nicht in die These.
Als "absolut menschenverachtend" bezeichnete der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Hans Endl, vor allem den biologistischen Ton der Heinsohn-Auslassungen. Ihre Veröffentlichung in seriösen Zeitungen zeige, dass "die Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger salonfähig geworden ist". Zahlreich, wenn auch strafrechtlich ohne Konsequenzen, waren die Anzeigen wegen Volksverhetzung. Auch die Bürgerschaft debattierte darüber: Die Linke hatte beantragt, sich vom - mit öffentlichen Mitteln alimentierten - Emeritus zu distanzieren. "Irgendwann ists auch mal gut mit den Eugenik-Sprüchen", so der Fraktionsvorsitzende Peter Erlanson (taz berichtete).
In der Sache war sich das Landtags-Plenum relativ einig - bloß eine Mehrheit gabs für den Antrag nicht: Das sei nicht die Aufgabe des Parlaments, hieß es. "So ein Beschluss hätte Heinsohn doch hemmungslos aufgewertet", so Grünen-Politiker Frehe. Trotzdem: "Ich appelliere an den AGA, ihn auszuladen."
"Da bin ich total baff", sagt AGA-Sprecher Holger Eisold. Von der Kontroverse habe man "nichts mitbekommen", und er gehe davon aus "dass da nicht solche Sachen kommen". Worauf sich die Hoffnung gründet, bleibt unklar. Vor der Einladung Heinsohns habe man sich jedenfalls erkundigt und ihn als "guten Redner" empfohlen bekommen, der pointiert formuliere. Das ist auch nicht zu bestreiten. Allerdings gehört Rhetorik schon seit jeher zum Handwerk eines guten Demagogen, ebenso wie die Fähigkeit, Unwahrheiten zu wiederholen - allen Fakten und Widerlegungen zum Trotz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern