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Dem hat ein Engel auf die Zunge gepißt...

■ Ein Gespräch mit dem englischen Autor Martin Amis und einige Kommentare zu seinen Romanen

Einer der wichtigsten Romane der modernen englischen Literatur, Money, erschien 1984; sein Autor, Martin Amis, ist im deutschen Sprachraum immer noch so gut wie unbekannt. Martin Amis ist absolut geschmacklos, er ist rotzfrech, er ist politisch. Seine Helden sind die Gossenmachos aus London, Westbourne-Grove; sie leben von Hamburgern, Pornos, Gewaltphantasien und dem Dreck der Straße. Und sie reden den unnachahmlichen Amis-Speak; sie machen das Maul auf, und gleich möchte man dreinschlagen. Sie brechen mehr Tabus als mancher Sofa-Intellektueller in Jahrzehnten radikaler Diskussion. An der Pisse dieser Kiezengel aus Notting Hill werden wir noch viel zu schlucken haben.

Martin Amis arbeitet nach dem GAU-Prinzip, er hat eine katastrophische Phantasie. Ich kann mir nicht helfen, wenn ich mir den Schriftsteller Martin Amis vorstelle, dann sehe ich ihn mit satanischem Grinsen über seine Schreibmaschine gebeugt, sehe ihn, wie er sich voller Vorfreude die Hände reibt und dann seine Geschichten von neuem der schlimmstmöglichen Wendung, dem Größten Anzunehmenden Unfall aussetzt. Amis ist nicht mehr der allwissende und zumeist doch recht gütige Gott einer literarischen Schöpfung; er ist der Beelzebub, Teufel.

„Oder sogar das Opfer. Eine Frage, die mir überhaupt keine Sorgen macht, wenn ich mich hinsetze, um zu schreiben, die mich aber offenbar sehr beschäftigt, schließlich taucht sie in jedem Buch wieder auf, ist die Frage: Was mache ich da nur? Wie kann ist es nur wagen? Warum strafe ich? Warum mache ich bloß meinen Figuren das Leben so schwer? Es läge in meiner Macht, sie glücklich zu machen, und ich mache es nicht. Das beunruhigt mich.“ Lies schneller, Leser

In Money, Martin Amis‘ bisher erfolgreichstem Roman, gewinnt das moralische Dilemma des Autorenteufels zentrale Bedeutung. Im Untertitel heißt der Roman: Letzte Nachricht eines Selbstmörders. Diese Nachricht wendet sich direkt an den Leser. Es ist, wie so oft bei einem Selbstmord, ein letzter Hilferuf, ein Ruf nach Zuwendung und Verständnis. Und vielleicht ist es noch nicht zu spät. Lies aufmerksam, Leser, scheint diese Nachricht zu besagen, lies rascher, lies, als könnte deine Lektüre ein Leben retten. Aber Martin Amis macht dem Leser die Sympathie mit seinem Helden nicht leicht.

John Self ist 35 und ein frischgebackener Filmdirektor. Er verbringt die Hälfte seines Buchlebens in den Staaten, in New York, die andere Hälfte in London. Er ist häßlich, fett, trinkt zuviel, das heißt: er hat entweder einen Kater oder er ist besoffen. In einem seltenen Anflug von Selbsterkenntnis meint John:

„Wenn ich es aushalten kann, darüber nachzudenken, ist mir klar, daß meine Hobbies fast alle pornographischer Natur sind. Das Moment einsamer Befriedigung ist gnadenlos deutlich: Schnellimbiß, Sex-Shows, Computerspiele, Einarmige Banditen, Video-Horror, Pornos, harte Drinks, Schlägereien, Fernsehen, Kneipen und Handjobs. Und diese Handjobs, diese endlosen, erschöpfenden Wichsereien haben's mir angetan. Ich brauche einfach immer wieder den menschlichen 'touch‘.“

Kurz, John Self ist das vollkommene Produkt unseres Jahrhunderts, und er ist süchtig nach diesem 20.Jahrhundert. Sein erster Film, der mal „Geld“, mal „Schlechtes Geld“, mal „Gutes Geld“ heißt, bringt ihm genau dies: Unmengen von Geld. John Self versinkt im Dollarrausch, und nur selten, ganz selten, dringt etwas Menschliches in die pornographischen Blasen seines Bewußtseins. Alle Figuren des Romans: der Held John Self; seine große Liebe, Martina Twain (zu deutsch etwa: Martina Doppel); Frank, ein Perverser, der John mit ungelegenen Telefonanrufen belästigt; ein Schriftsteller, dem John in London über den Weg läuft und der sich seltsamerweise Martin Amis nennt, sie alle lassen an ihren Namen bereits erkennen, daß sie Geschöpfe, Echos ihres Autors Martin Amis sind, der sich, sollte sich der Leser einmal in dem Irrgarten der Spiegelbilder und Reflexionen verlieren, gleich auch noch ordnend und kommentierend zu Wort meldet. Und niemand wird sich über die Multiplikationen der Autorenimago wundern, schließlich handelt das beste Buch, das weiß sogar Vron, immer nur vom eigenen Ich. Zeitzeuge des Fin de Civilisation

Das wohl einschneidendste Erlebnis für den Schriftsteller Martin Amis liegt irgendwann zwischen dem Ende der Arbeit an Money und der Veröffentlichung seiner Kurzgeschichtensammlung Einsteins Ungeheuer, dem einzigen seiner Bücher, das bisher auch auf deutsch vorliegt. Immer wieder haben Kritiker ihm vorgworfen, er wolle hinter seinem linguistischen Störfeuer nur verbergen, daß er eigentlich nichts zu sagen habe. Sein Horror vor Pornographie, vor dem Dschungel der Großstadt, den Lastern des Geldes und der Skupellosigkeit der Medien sei letztlich der Horror des außenstehenden Betrachters, des pikierten Bourgeois, dem das Schicksal dieser Schreckenswelt an den Verstand, aber nicht ans Herz gehe. Das ändert sich irgendwann in den achtziger Jahren. Spät, vergleichsweise sehr spät, wurde Martin Amis sich der Schrecken einer globalen Bedrohung durch die Atombomben bewußt. Plötzlich fanden seine alten Themen eine neue Überschift. Die Beschreibung der Dekadenz unserer Zeit wurde zur Beschreibung der Dekadenz der Endzeit, die Frage nach der Moral des teuflischen Autoren zur Frage danach, ob im Schatten des Untergangs Moral überhaupt noch möglich sei. Martin Amis fühlte sich nicht nur zum Chronisten des fin de siecle, sondern gleich zum Zeitzeugen des fin de civilisation, des fin totale berufen.

„Ich denke heute mehr und mehr in planetaren Verhältnissen. In einem bestimmten Sinne fühle ich mich wie der Planet. Es ist absurd, aber wir beide leben mit dem gleichen Zeitmaß. Wenn ein ausgestreckter Arm die Zeit, die Lebensdauer des Planeten darstellt, dann könnte die Zeit der menschlichen Geschichte ausgelöscht werden, wenn man mit einer Nagelfeile nur einmal über den Nagel des Mittelfingers fährt. Im Vergleich zum Zeitmaß des Planeten entspricht das der Zeit, die der Mensch auf ihm gelebt hat. Und doch ist dies plötzlich die Zeit, in der der Planet sterben könnte.“ Und der Schriftsteller?

Was macht ein Schriftsteller gegen die bevorstehende atomare Katastrophe? Was kann ein Schriftsteller überhaupt machen? Die Antwort ist einfach: er schreibt. Er hält es mit Nabokov, der sagte, die stärkste Waffe der Autoren sei der schwarze Humor, die bitterböse Komik; und er kreidet an, er legt bloß, er schimpft und wettert, er liebt und läßt lieben, er unterstützt, und er verdammt, er läßt gebären und sterben, beschreibt Weltuntergänge und schafft neue Welten, kurz und gut: er schreibt.

In seinem bisher letzten Roman London Fields erzählt Martin Amis die Geschichte einer globalen Krise, einer politischen, ökologischen, astronomischen Krise in post -glasnostscher Zeit. Es ist ein Buch über einen Mord. Doch der Tod überrascht niemanden, es ist der Tod der Welt. Wir haben ihn lange vorhergesehen. Und was für eine einmalige Chance, was für eine Story für einen Geschichtenerzähler. Er kennt das Opfer, er ahnt den Zeitpunkt der Tat, nur bei dem Mörder ist er sich noch nicht ganz sicher. Doch die nötigen Indizien liegen deutlich vor aller Augen.

„Wenn mich jemand fragt: Schreiben sei ja ganz gut und schön, aber was ich denn eigentlich dagegen 'mache‘, gegen die Bedrohung, den Untergang der Welt, dann würde ich am liebsten antworten: Warum schreibst du denn keinen Roman darüber? Mach‘ nicht nur etwas. Schreib‘ einen Roman darüber. Jeder kann schließlich in den Bus steigen und losfahren und sich vor ein Atomkraftwerk hinsetzen. Wirklich jeder. Aber längst nicht jeder kann einen Roman darüber schreiben.“

Martin Amis jedenfalls kann es.

Bernhard Robben

Am Mittwoch, dem 13. Juni um 20 Uhr liest Martin Amis in München, im Gasteig. Bei Zsolnay erscheint im Herbst sein Roman „Money“.

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