: Dem Parlament an die Wäsche
Die Bündnisgrünen fordern eine Reform des Abgeordnetenhauses und eine Neuregelung der Altersversorgung von Abgeordneten ■ Von Severin Weiland
Optimismus gehört zur seelischen Grundausstattung der Opposition. Vor allem dann, wenn es um Änderungen des Parlamentbetriebes selbst geht. Einen ersten Schritt nahm das Abgeordnetenhaus vor der Sommerpause, als es auf Drängen der Bündnisgrünen die BVG-Freifahrtenregelung für die 206 Parlamentarier abschaffte. Seit Juli müssen die Volksvertreter ein Umweltticket aus eigener Tasche zahlen. Andernorts, bei der Reduzierung der Abgeordnetenzahl und der Diätenregelung, mahlen die Mühlen langsamer. Nun will die 30köpfige bündnisgrüne Fraktion auch hier Druck machen.
Das Parlament hatte in der vergangenen Legislaturperiode eine Reduzierung auf mindestens 150 Abgeordnete beschlossen. Doch durch das Verhältnis der Direkt- zu den Listenmandaten – 60 zu 40 Prozent – wurde das Ziel geradewegs nach der letzten Wahl verfehlt. Jetzt sitzen, weil eine große Zahl von Ausgleichs- und Überhangmandaten anfiel, 206 Parlamentarier (vormals 241) im ehemaligen Preußischen Landtag. Wenn das Verhältnis von Direkt- und Listenmandaten 50 zu 50 Prozent wäre, sei die Zahl der Abgeordneten „drastisch reduzierbar“, glaubt Renate Künast, rechtspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen. Langfristig hält sie den Umbau zu einem Vollzeitparlament für wünschenswert – mit 100 bis 110 Mandatsträgern. Der jetzige Zustand der Halbtags- und Freizeitparlamentarier sei „unbefriedigend“. Nicht selten würden Ausschußsitzungen verschoben, weil die überwiegende Zahl der Abgeordneten ihre Berufstermine mit denen des Parlaments abgleichen müßten. Solche Verzögerungen seien auch politisch instrumentalisierbar, insbesondere bei umstrittenen Themen. Schwung will die Partei in die oftmals drögen Plenarsitzungen bringen. Die bisher unbeschränkte Redezeit für Senatoren müsse an die der Fraktionen angepaßt werden. Auch der Umstand, daß Senatoren nebenbei noch ihr Abgeordnetenmandat behalten können, müsse überprüft werden.
Eine Parlamentsreform hält auch die SPD für wünschenswert. Fraktionschef Klaus Böger wiegelt die Ängste der Bündnisgrünen ab, diese würde mit der CDU „auf der Couch“ ausgehandelt. Nach der Sommerpause will die SPD das „Gesamtpaket“ im Ältestenrat des Abgeordnetenhauses diskutieren lassen. Böger hält eine Reduzierung auf 150 Abgeordnete für wünschenswert. Das Mißverhältnis von Direkt- und Listenmandaten müsse ausgeglichen werden. Konfliktträchtig dürfte hingegen die SPD-Forderung nach einem statt bislang zwei Vizepräsidenten sein. Offenkundig eine Attacke auf die PDS, deren Kandidatin erst nach monatelangem Tauziehen im Frühjahr auf den Stellvertreterposten gewählt wurde.
Auf Bögers Liste steht auch die Diätenfrage. Ein Thema, das wohl zu den sensibelsten gehört, weil es in Zeiten der vielbeschworenen „Politikmüdigkeit“ wie kein anderes für öffentlichen Gesprächsstoff sorgen dürfte. Die Bündnisgrünen mahnen auch hier eine Überarbeitung an. Künast bringt die Abgeordnetenprivilegien auf die Kurzformel: „Je länger man dabei ist, desto früher und lukrativer ist die Altersversorgung.“ Derzeit gilt: Wer nach sieben Jahren aus dem Parlament ausscheidet, erhält ab dem 63. Lebensjahr 45 Prozent seiner früheren Bezüge, rund 2.300 Mark. Nach zwölf Jahren Zugehörigkeit wird schon ab dem 55. Lebensjahr eine Entschädigung von 60 Prozent gezahlt, wer 20 Jahre auf den Parlamentsstühlen gehockt hat, kommt sofort in den Genuß der Zuwendungen und bezieht den Höchstsatz von 75 Prozent, rund 3.800 Mark. Die Bündnisgrünen schlagen nun vor, das Eintrittsalter für die Alterversorgung dem Renteneintrittsalter anzupassen, also die Zuwendungen ab 63 beziehungsweise 65 Jahren auszuschütten. Alternativ halten sie auch ein Rentenmodell für denkbar, bei dem die Abgeordneten während ihrer Mandatszeit in die Altersversorgung bei der Bundesanstalt für Angestellte (BfA) einzahlen. Diese Variante, räumt Künast ein, würde zwar „ein paar Mark mehr kosten“. Andererseits, so gibt sie zu bedenken, rangieren die Berliner Abgeordneten bei der Diätenregelung im Vergleich mit anderen Landesparlamenten „im unteren Drittel“.
Noch besser als die Abgeordneten sind die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen dran. Schon nach fünf Jahren haben diese Anspruch auf eine Altersversorgung. Ihre Vergütung versteckt sich im Landesabgeordnetengesetz bezeichnenderweise unter der Rubrik „sonstige Leistungen“. Dort werden ihnen gar „Ruhegelder nach beamtenrechtlichen Grundsätzen“ zugebilligt. Das aber widerspricht nach Künasts Auffassung dem in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten Fraktionsgesetz. Dort werde ausdrücklich festgestellt, daß Fraktionen kein Teil der Verwaltung seien und somit auch keine öffentliche Gewalt ausübten. Im Landesabgeordnetengesetz gibt es zudem einen Passus, der den Fraktionsgeschäftsführern einen Freibrief ausstellt. Das „Dienstverhältnis“, so heißt es dort, kann auch „aus anderen Gründen“ beendet werden, die der Betroffene selbst „nicht zu vertreten“ habe. Im Klartext: Wer nach fünf Jahren als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer einen guten Job in der Privatwirtschaft gefunden hat, kann sich ohne Angabe von Gründen von der Fraktion kündigen lassen und erhält sofort seine Altersbezüge. Davon profitieren derzeit fünf Ex-Geschäftsführer, von denen jeder durchschnittlich rund 5.500 Mark bezieht. Die Bündnisgrünen wollen die herausgehobene Stellung der Parlamentarischen Geschäftsführer im Diätensystem ebenfalls abschaffen. Sie sollten künftig von den Fraktionen so bezahlt werden, daß sie dann ebenfalls in die Altersversorgung der BfA einzahlen können, meint Künast.
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