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Debatte um Wehrpflicht und AbhörskandalDemokratische Abwehrbereitschaft

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Deutschland mangelt es an Abwehrbereitschaft, dafür muss Personal her. Aber auch Diplomatie und Desinformation im Netz müssen mitgedacht werden.

Wegen Personalmangels fährt der Chef selbst: Verteidigungsminister Boris Pistorius auf dem Leopard 2A6 Foto: Federico Gambarini/dpa

E s sind harte Zeiten für die deutsche Außenpolitik. Das Taurus-Debakel und die unklaren Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz, warum eine Lieferung des Marschflugkörpers an die Ukraine nicht machbar sei, läuteten ein Kommunikationsdesaster ein. Hinzu kam die peinliche Abhöraffäre. Bundeswehrspitzen sind offenbar nicht in der Lage, ihre digitale Kommunikation so zu organisieren, dass der Feind nicht mithören kann.

Da helfen die markigen Ansagen von Verteidigungsminister Boris Pistorius wenig, wenn er den Fall einerseits als schwerwiegend bezeichnet und sich andererseits bei der Ursachenforschung relativ bedeckt hält. Deutschland wirkt mehr als anfällig gegen die Nadelstiche aus dem Kreml.

Die Konsequenz war dieser Tage intensive Krisendiplomatie, um den Schaden bei den Verbündeten in Europa und in den USA zu begrenzen. Fatal sind etwa Aussagen aus Großbritannien, die dem Kanzler und der Regierung bescheinigen, eine Gefahr für die internationale Sicherheit zu sein. Erneut wird sichtbar, dass sich Kanzleramt und Außenministerium, konkret Scholz und Annalena Baerbock, wenig einig sind, weder bei der Taurus-Lieferung noch bei einer gemeinsamen Strategie, um sich gegen Attacken russischer Propaganda zu wappnen.

In dieser allgemeinen Hilflosigkeit treibt Pistorius seine Pläne für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht voran, wie auch immer diese aussehen wird. Auf seinem Trip nach Skandinavien begutachtete er Modelle wie das schwedische, das vorsieht, dass zwar alle jungen Frauen und Männer eines Jahrgangs gemustert werden, aber nur ein ausgewählter Teil tatsächlich den Grundwehrdienst leistet. Daraus speist sich dann eine Reserve, die im Ernstfall einsetzbar ist.

Dass dieser Ernstfall durchaus kommen kann, ist spätestens seit Februar 2022 klar. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erhöht sich die Bedrohungslage in Europa, auch in Deutschland. Zuvor wurde die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht zuletzt vor allem diskutiert, weil Krankenhäusern, Seniorenheimen und sozialen Einrichtungen die Zivildienstleistenden abhandengekommen waren. Die Rückkehr eines klassischen Landkrieges nach Europa hat jedoch die Frage nach soldatischem Menschenmaterial wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Doch anstatt diesen Aspekt klar zu benennen und Konditionen wie Folgen zu diskutieren, wenn kommende Generationen deutscher Staatsangehöriger eingezogen werden könnten, flüchtet sich der Minister in schwammige Aussagen nach dem Motto „Lieber alles offen lassen als Klartext sprechen“. Fakt ist: Es fehlt an Nachwuchs in der Bundeswehr. Rekrutierungsversuche fruchteten wenig in den vergangenen Jahren. Das Armeepersonal in den kommenden Jahren auf über 200.000 Menschen anwachsen zu lassen wird wohl scheitern.

Würde die Bundeswehr mit der Wehrpflicht demokratischer oder die Gesellschaft militarisierter? Dies gilt es auszugestalten

Also muss die Bevölkerung ran. Manche hoffen darauf, mit der Wehrpflicht würde die Bundeswehr demokratischer und diverser, andere befürchten, die Gesellschaft werde militarisierter. Vermutlich kann das ausgestaltet werden – aber nur, wenn nicht plötzlich aus der früheren Vernachlässigung des Militärischen ein panisches Primat desselben entsteht. Die derzeitige Konjunktur immer neuer Finanzierungs- und Aufrüstungsbegehren lässt daran aber zweifeln.

Vollmundig hatte die Bundesregierung im Sommer 2023 über ihre Nationale Sicherheitsstrategie angekündigt, den Begriff und die Bedeutung von Sicherheit für die Bevölkerung neu zu gestalten. Von einer integrierten Sicherheit ist dort die Rede, von einem Zusammenspiel militärischer Verteidigung, Cyberabwehr, Strategien gegen Desinformation, Bevölkerungsschutz, humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und diplomatischen Anstrengungen. Von diesen Zusammenhängen ist in diesen Tagen wenig bis gar nichts zu hören. Nicht einmal von einer in sich zusammengeschrumpften Linken, die sich lieber mit sich selbst beschäftigt, als genau auf dieses Defizit hinzuweisen.

Wir leben in Zeiten, in denen der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Offenbar ist es notwendig, dies immer und immer wieder zu betonen. Diese Zeiten fordern einen hohen Preis, von jedem Einzelnen. Dazu braucht es aber ein starkes Plädoyer für mehr als Militärdienste und Beschaffung von Kriegsgerät. Demokratie ist nur dann wirklich krisenfest und abwehrbereit, wenn es um mehr als Verteidigung im klassisch-kriegerischen Sinne geht. Die bittere Erkenntnis: In der Putin’schen Logik ist dies längst angekommen. Jüngstes Beispiel sind die diplomatischen Verstimmungen, die die Taurus-Debatte und der Abhörfall in der Luftwaffe – der eigentlich nur ein Skandälchen ist – ausgelöst haben.

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Tanja Tricarico
wochentaz
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Leitet derzeit das Politik-Team der wochentaz. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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20 Kommentare

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  • In den letzten zwei Jahren wurde es so offensichtlich wie extrem Russland unsere Demokratie versucht mit Blogger-Fabriken zu zerstören. (Belege zB SPIEGEL Recherche usw)



    Und Spionage siehe WireCard v Russland gesteuert oder zB Schröder usw usw usw!



    Die Belege sind schier endlos!!

    Toleranz und Frieden funktionieren eben NUR wenn Toleranz und Frieden erwidert werden!!

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    In diesen Tagen ist nicht nur viel von der Notwendigkeit der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas die Rede, sondern auch von Gefahren für die Demokratie und der Notwendigkeit, Demokratie zu fördern. Beides stand schon immer in engem Zusammenhang.

    Auf den Bänken griechischer Kriegsgaleeren saßen keine Sklaven, die ihre Motivation aus der Angst vor körperlicher Strafe zogen, sondern freie Bürger, die im Bewusstsein standen, ihre Familien zu verteidigen. Und sowohl im Zuge der amerikanischen Unabhängigkeit als auch in Folge der französischen Revolution wurden Berufsarmeen, die als die besten ihrer Zeit galten, von Laientruppen besiegt, die in dem Bewusstsein kämpften, ihre Heimat zu verteidigen.

    Eine reine Berufsarmee mag sinnvoller sein, wenn Politiker entscheiden, Interessen des Landes in Regionen verteidigen zu müssen, die kaum ein Bürger kennt. Sobald es aber um die eigenen Grenzen geht, ist die Motivation, Freunde, Familie und die eigene Selbstbestimmtheit zu verteidigen, schwer zu überschätzen.

    Zu einer Demokratie gehört auch, dass sich alle an deren Bewahrung beteiligen. Es kann zu einem Problem werden, wenn die Gesellschaft eines Landes die Landesverteidigung nur noch als bezahlte Dienstleistung begreift und jene, die sie übernehmen, sich als Elite betrachten zu beginnen, wenn sich zeigt, dass alle anderen ohne sie hilflos sind.

    Auch wenn Demokratien in Friedenszeiten auf solche zurückgreifen, sind Berufs- und ganz besonders Söldnerarmeen vor allem Kennzeichen undemokratischer Systeme. Eine allgemeine Wehrpflicht, unter der sich alle Staatsbürger gleich behandelt sehen, kann hingegen durchaus Demokratie stiftend wirken.

  • ...fähige, professionelle Diplomten in der Regierung braucht Deutschland...



    ...dann braucht's auch keine Bürger als Kanonenfutter.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Die Ausbildung des auswärtigen Amtes ist ganz gut. Diplomatie ist kein Schalter den man umlegt, hat man nur lange genug verhandelt gibt es Frieden. So funktioniert das nicht. Erfolgreiche Friedensverhandlungen sind immer auch das Resultat militärischer, demographischer und wirtschaftlicher Stärke. Dazu kommen Faktoren wie Ideologie, strukturen die Frieden leichter oder schwerer machen, Legitimität etc. Grundsätzlich braucht Frieden also auch immer einen anderen und es verhandelt sich wesentlich leichter mit starker Armee in Rücken. Es braucht kein Kanonfutter wenn der Staat eine große Armee hat und niemand in Zweifel zieht das man sie auch einsetzt dann können Diplomaten viel erreichen.

      • @Machiavelli:

        ..." die Ausbildung des auswärtigen Amtes ist ganz gut " - An welchen Ergebnissen machenbSie das fest ?



        Sehe ich z. Z. leider eher nicht so, wie Sie.



        Die weltweit aktiven, Demokratie missionieren " Aussenstellen " unserer Parteinahen Stiftungen sind auch nicht immer nur Friedensfördernd...



        Fähige Diplomaten lassen durch vorausschauendes Handeln, Situationen - die die Sicherheit gefährden - schon im Vorfeld nicht eskalieren. " Vordenken " nicht " Nachdenken " macht sehr gute Diplomaten aus.

        • @Alex_der_Wunderer:

          Sie überschätzen den Einfluss Deutschlands und Deutschland ist nicht im Krieg also von dem her scheinen die deutschen diplomaten die Sicherheit ganz gut herzustellen.

          • @Machiavelli:

            Sie unterschätzen den Einfluss von Deutschland. Zusammen mit Frankreich hatte man schon einmal 2014 einen größeren Krieg verhindert - schade das keine deutsch-französische Initiative vor diesem Krieg zustande kam.

            • @Alexander Schulz:

              Scholz und Macron waren doch in Russland vor dem Krieg und Scholz hat klar gemacht es wird keinen NATO Beitritt geben. Aber Russland hat einfach sburede Forderungen gestellt. Russland wollte eine Ausrede Krieg zu führen.

    • @Alex_der_Wunderer:

      ...ääääh Diplomaten , von mir aus auch mit Diplom - sorry ))

  • Ich fände eine Modell-Annäherung an Schweiz und Israel, wesentlich wehrhafter. Vielleicht



    3-4 Monate Grundtraining d Alle und danach 8 Monate Sozialdienste, Feuerwehr, Sanitäter oder erweitertes Verteidigungstraining. Alles so angelegt, dass Alle währenddessen Führerschein, Ersthelfer-Schein usw usw kostenlos machen.

  • Es gibt keinen Weg an der Wehrpflicht vorbei. Dazu muss aber erst die Infrastruktur geschaffen werden und das Material beschafft werden. Das dauert Jahre, also sofort anfangen und nich schnacken.

  • Dieser Brecht Spruch wurde leider immer verkürzt wiedergegeben: "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin - dann kommt der Krieg zu Euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat."

  • "Es fehlt an Nachwuchs in der Bundeswehr. Rekrutierungsversuche fruchteten wenig in den vergangenen Jahren. Das Armeepersonal in den kommenden Jahren auf über 200.000 Menschen anwachsen zu lassen wird wohl scheitern."



    Unter den Migranten sind viele junge Männer... Man könnte die Bundeswehr für Migranten öffnen. Damit würde man viele Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Bundeswehr böte den Migranten Obdach, schnelle sprachliche und soziale Eingliederung, eine Ausbildung, ein attraktives Gehalt im Vergleich zu sonstigen Einstiegsgehältern am Arbeitsmarkt und es würde das Bild von Migranten in der Gesellschaft deutlich aufwerten - gerade das von den jungen Männern...



    Nach beispielsweise 4 oder 8 Jahren Dienstzeit gäbe es bedingungslos den deutschen Pass obendrauf - das wäre eine sichere Bleibeperspektive für viele die sonst keine haben oder jahrelang in der Schwebe hängen.



    Viele Länder bieten derlei Möglichkeiten 🤷‍♂️

    • @Farang:

      Fremdenlegion. Grandiose Idee.

      • @Alterchen:

        👍👍 Das Kind beim Namen genannt - thx

    • @Farang:

      Es besteht aber die Gefahr, dass sich so Saboteure und Spione in die Bundeswehr ein schmuggeln können, mit verheerendem Resultat.

  • Es würde mich nicht wundern, wenn unter den Grünen die Wehrpflicht wieder kommen würde. Unter den Grünen kam nun schon so viel, was den Wahlaussagen völlig widersprach, "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete", Frackingas, Kohlekraft, Asylerschwernisse,... nur als Beispiel. Klar jetzt machen sie noch auf "mit uns nicht" bevor sie umkippen, aber das hatten wir ja schon öfters.



    Die schlagkräftigste und beste Armee ist immer eine Berufsarmee, siehe USA. Wenn leider schon unvermeidbar, dann sollten wir so eine EU-Armee etablieren.

  • Da ist viel Wahres zu lesen.



    Tatsächlich sind die Zeiten vorbei, in denen sich Deutschland sich hinter den USA verstecken konnten.



    Für den Verteidigungsfall Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, dass Einige der wohlbehüteten Kinder durch den Schlamm robben müssen. Das ist für Eltern, die Ihr Kind aus Gefahrenabwehr zur Schule und Allen sonstigen Veranstaltungen fahren, natürlich nicht einzusehen.



    Völlig richtig ist auch der Mangel an Pflegekräften, seitdem es keine Zivis mehr gibt.



    Ob man/frau sich also mit Bundeswehroffizieren oder Krankenschwestern unterhält: die Aussetzung der Wehrpflicht halten Alle für einen Fehler.



    Ganz nebenbei ist ein staatlich subventionierter Einstieg ins Berufsleben hilfreich. Er bietet Orientierung und Zeit und Gelegenheit erste Erfahrungen zu sammeln.



    Ein Zusammenarbeiten mit Menschen mit Migrationshintergrund würde Vorurteile abbauen und diesen auch eine neue Definition des "deutsch seins" liefern.



    Ich habe Zivi gemacht und verbuche die Zeit positiv.



    Betrachtet man/frau das Wort Gesellschaft, so könnte die Idee entstehen, dass gemeinsames Arbeiten gemeinschaftsstiftend ist.



    Ich habe das in vielen Zusammenhängen so erfahren und möchte es weiter empfehlen.



    Nach der Veröffentlichung des Abhorprotokolls durch russische Stellen wurde recht schnell eine persönliche Fehlleistung als Ursache benannt.



    Die Folgen sind allerdings weitreichend:



    Deutschland lässt sich von Putin spalten.

    • @Philippo1000:

      Na ja, das Gespräch der 4 Offiziere wäre auch dann peinlich, wenn es von einem deutschen Whistleblower veröffentlicht worden wäre.

      Da wird offen diskutiert, wie man Taurus liefern, passende Kriegsziele empfehlen und die deutsche Kriegsbeteiligung gleichzeitig kaschieren kann.

      Und im Kontrast dazu die Ansicht von Scholz und der Mehrheit der deutschen Bevölkerung.

      • @Uns Uwe:

        Es gäbe keine deutsche Kriegsbeteiligung man liefert Waffen und Informationen das macht einen nicht zum Kriegsbeteiligten.