Debatte Reden mit Rechten: Ich möchte lieber nicht!
Die freundliche, aber bestimmte Weigerung, mit der Neuen Rechten in Dialog zu treten, kann auch bewusstes Ergebnis eines Denkprozesses sein.
H erman Melvilles Romanfigur Bartleby begann eines Tages, alle an ihn gerichteten Aufforderungen mit dem freundlichen, aber bestimmten Satz „I’d prefer not to“ (Ich möchte lieber nicht) zu beantworten. Als Antwort auf die Frage, ob man mit Rechten öffentlich diskutieren muss, sorgte die bewusste Weigerung in den vergangenen Monaten wiederholt für Aufregung.
Zwei Beispiele: Die Autorin Margarete Stokoswki sagte eine Lesung in einer Münchener Buchhandlung ab, weil es dort Bücher eines Verlages der Neuen Rechten zu kaufen gibt. Und die Universität Siegen verweigerte im Rahmen eines Seminars zur Redefreiheit die Finanzierung einer Diskussionsveranstaltung mit Thilo Sarrazin und dem AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Jongen. Beide Akte riefen, so unterschiedlich sie im Detail waren, die selbe Empörung hervor, auch in linken Kreisen.
Die freundlichen, aber bestimmten Weigerungen werden einerseits als Intoleranz gegenüber allen Positionen gedeutet, die nicht auf den ersten Blick liberal oder links sind. Und sie werden als Scheu davor verstanden, mit der Rechten ins Gespräch zu kommen. Diese Deutung ist politisch fatal. Sie zeigt drei grundsätzliche Probleme im öffentlichen Umgang mit der Neuen Rechten.
Erstens verkennt die Forderung, man müsse mit der Neuen Rechten ins Gespräch kommen, völlig, wie Öffentlichkeit im Informationskapitalismus funktioniert. Die schöne Vorstellung, die dieser Forderung zugrunde liegt, ist die eines Gesprächs zwischen zwei grundsätzlich für den Austausch von rationalen Argumenten offenen Personen, die sich gerne vom Gegenüber überzeugen lassen, wenn er oder sie die besseren Argumente mitbringt. Nicht erst seit Donald Trump wissen wir, dass der Kommunikationsstil der Neuen Rechten gerade nicht dialogisch ist. Stattdessen fährt sie eine Strategie der Verlautbarungen, der Reichweite und der Aufmerksamkeit. Und zwar um jeden Preis, auch den der Wahrheit.
Verweigern als wirksames Mittel
Das ist eine Strategie, die nicht nur der sozialen Medien wegen funktioniert – alle Medien sind dafür empfänglich, die auf Auflagen, Quoten und Klicks angewiesen sind. Die New York Times oder CNN können noch so deutlich auf die Lügen des republikanischen Präsidenten hinweisen, als Teil der medialen Aufmerksamkeitsökonomie sind sie Teil des Problems. Ein wirksames Mittel gegen diese Maschinerie ist tatsächlich das Nicht-Teilen, Nicht-Mitmachen und Sich-Verweigern.
Zweitens liegt der Forderung das Gespräch zu suchen, und damit toleranter gegenüber Ideen der Neuen Rechten zu sein, ein merkwürdiger Begriff von Toleranz zugrunde. Wenn es einen Text gibt, den man angesichts der aktuellen Diskussion dringend wieder lesen müsste, ist es Herbert Marcuses Aufsatz über „repressive Toleranz“. In dem Text aus dem Jahr 1965 argumentiert Marcuse, dass Toleranz gerade nicht darin besteht, in letzter Instanz auch Intoleranz zu akzeptieren. Toleranz wird in dem Moment, in dem man das tut, repressiv, weil sie dann – statt Freiheit, Offenheit und Emanzipation zu fördern – Intoleranz als Deckmantel dient. Die Idee, dass eine tolerante Gesellschaft auch Intoleranz aushalten müsse, ist für Marcuse die deutlichste Artikulation von repressiver Toleranz.
Marcuse zeigt, dass wahre Toleranz parteiisch sein müsse – der Intoleranz gegenüber. Das heißt nicht, dass wir uns Rassismus oder Sexismus einfach weg wünschen können. Aber wir dürfen rassistische und sexistische Positionen nicht auf einer Ebene mit anderen Positionen verhandeln. Wir tun dann so, als wäre die Gleichheit von Menschen eine Frage der Meinung und nicht Voraussetzung des demokratischen Gesprächs.
Margarete Stokoswki hat in einem Tweet selbst auf den schiefen Toleranzbegriff in der Diskussion hingewiesen: „Nächste Woche ist 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland. Looking at you, Pro & Contra-Abteilung @DIEZEIT.“ Fragen, die die Gleichheit von Menschen betreffen, sind keine Fragen, über die man diskutieren muss. Man muss sie durchsetzen und erstreiten – auch mit Verweigerung.
Drittens darf die politische Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten nicht nur im öffentlichen oder privaten Gespräch geführt werden. Der gesellschaftliche Kampf um Hegemonie wird auch geführt mit Verweigerung, diskursiver Sabotage und Blockade (nicht reden wollen, glauben, was man will, lügen), und leider auch mit Gewalt. Die Neue Rechte hat einige dieser Strategien perfektioniert. Und die Linke? Soll sich mit den Wortführern der Neuen Rechten zum demokratischen Gespräch treffen? Wie diskutiert man, wenn das Gegenüber einen nicht als gleichberechtigt anerkennt? Oder wenn Argumente nicht gehört oder nicht akzeptiert werden? Die Linke muss neue, disruptive Formen der politischen Auseinandersetzung finden, die die Intoleranz der Neuen Rechten nicht normalisiert, sondern skandalisiert.
Keine Gesprächsverweigerung
Die Weigerungen von Stokowski und der Universität Siegen lassen sich viel besser verstehen, wenn man sie eben nicht als Gesprächsverweigerung deutet. Als Autorin etwa führt Stokowski seit Langem einen öffentlichen Diskurs mit und über den Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Und auch die Zuständigen der Uni Siegen scheinen sich mit der Neuen Rechten beschäftigt zu haben, bezeichnen sie doch die Finanzierung der „ideologischen Standpunkte“ von Sarrazin und Jongen als problematisch für eine weltoffene Hochschule. In beiden Fällen ist das „I’d prefer not to“ nicht die Verweigerung der Beschäftigung mit der Neuen Rechten, sondern vielmehr ihr Ergebnis.
Eine Bartleby-Politik gegen den Rechtsruck kann genau das sein: die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten, ihren Argumenten und ihren Strategien. Mit dem Ergebnis, dass es da nichts zu diskutieren gibt, aber viel, wogegen man kämpfen und einiges, dem man sich verweigern sollte.
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