Debatte Pussy Riot: Putins Exempel
„Süddeutsche“ und „FAZ“ haben das Urteil gegen Pussy Riot verteidigt. Damit liegen sie falsch. Die Punkband wäre in Deutschland niemals in Haft gelandet.
D ie drei Musikerinnen der Punkband Pussy Riot werden in einem russischen Straflager verschwinden. So hat es Mitte August ein Moskauer Gericht beschlossen – ein Urteil, dem inzwischen auch einige Kommentatoren im Westen ein gewisses Verständnis entgegenbringen.
Der Rechtswissenschaftler Klaus Volk denunzierte die Welle internationaler Solidarität in der Süddeutschen Zeitung als „Empörung 2.0“; die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb, die „Aktionskünstler mit ihren vulgären Provokationen“ erinnerten „an die erste RAF-Generation“.
Klaus Volk hat wie die russische Regierung das deutsche Strafrecht als Argument gegen Urteilsschelte entdeckt. So verteidigte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch das Urteil mit dem Hinweis, in Deutschland sehe das Gesetz für die Beleidigung religiöser Gefühle bis zu drei Jahre Haft vor. Und tatsächlich kann auch hierzulande jemand bestraft werden, der an einem Ort, der dem Gottesdienst einer „im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft“ gewidmet ist, „beschimpfenden Unfug“ verübt. So steht es in Paragraf 167 des Strafgesetzbuchs. Hätten den Frauen von Pussy Riot damit etwa auch in Deutschland die vom Moskauer Chamowniki-Gericht verhängten zwei Jahre Freiheitsstrafe gedroht? „Nein, bis zu drei“, klärt uns Klaus Volk auf.
Der von ihm und der russischen Regierung erweckte Eindruck, die Aktion von Pussy Riot wäre in Deutschland ähnlich zu ahnden gewesen, ist falsch. Zwar sieht der entsprechende Paragraf tatsächlich eine maximale Strafandrohung von drei Jahren vor. Es verbietet sich aber, die in Moskau tatsächlich verhängten Strafen mit einer Maximalstrafe im deutschen Recht zu vergleichen. Freiheitsstrafen spielen bei ähnlichen Delikten in Deutschland praktisch keine Rolle.
geboren 1953, ist ehrenamtlicher Russlandexperte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (deutsche Sektion). 1998 hat er den Arbeitskreis JuristInnen bei Amnesty gegründet, heute ist er dessen Sprecher.
Kein vergleichbares Urteil
Nach der Strafverfolgungsstatistik wurden beispielsweise 2010 in Deutschland wegen Beschimpfungen von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen und Störung der Religionsausübung 19 Menschen verurteilt. In nur einem Fall verhängte ein Gericht eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wurden in der Vergangenheit Freiheitsstrafen verhängt, ging es dabei in der Regel um die unmittelbare und wiederholte Störung von Gottesdiensten. Gegen niemanden wurde nach der Statistik im Jahr 2010 – wie im Fall Pussy Riot – wegen des Verdachts, diese Delikte begangen zu haben, Untersuchungshaft angeordnet.
Aber selbst nach russischem Gesetz lässt sich eine Verurteilung der Bandmitglieder nicht rechtfertigen. Dem Urteil zufolge soll die Aktion der Frauen den Tatbestand des „Rowdytums“ nach Artikel 213 des russischen Strafgesetzbuchs erfüllt haben. Der Artikel versteht unter Rowdytum eine grobe, die deutliche Missachtung der Gesellschaft zum Ausdruck bringende Verletzung der öffentlichen Ordnung, wenn sie durch religiösen Hass oder Feindseligkeit oder durch Hass oder Feindseligkeit gegen eine soziale Gruppe motiviert ist. In der russischen Rechtspraxis wird das regelmäßig durch die Einholung von Sachverständigengutachten geklärt. Zwei der drei Gutachten, die im Fall Pussy Riot eingeholt wurden, haben das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint.
Putin als „Wunder Gottes“
In der Tat lässt sich die Verurteilung nicht rechtfertigen. Es ist nicht im Ansatz zu erkennen, dass die Aktion durch religiösen Hass motiviert gewesen wäre. Sie erfolgte im Vorfeld der Präsidentschaftswahl und bezog sich nicht auf die Gläubigen oder die orthodoxe Kirche als solche, sondern auf die Einflussnahme orthodoxer Würdenträger. Die zwölfjährige Herrschaft Putins sei ein „Wunder Gottes“, hatte Patriarch Kyrill vor den Wahlen erklärt.
Auch von Hass oder Feindseligkeit gegenüber dem orthodoxen Klerus als „sozialer Gruppe“ kann keine Rede sein. Die Aktion kritisierte das näher bezeichnete Verhalten einiger seiner Angehörigen in einer bestimmten Situation. Sähe man das als „Rowdytum“ an, könnte man – wie gelegentlich schon geschehen – strafrechtlich auch gegen die Kritik an korrupten Beamten oder an einer bestimmten Politik vorgehen. Die Kritik müsste nur als Ausdruck einer feindseligen Haltung interpretiert und die Kritisierten als „soziale Gruppe“ definiert werden. Wird die Kritik von einer Gruppe nach vorheriger Absprache formuliert, drohen bis zu sieben Jahre Haft.
Aus alldem folgt: Die drei Frauen sitzen auch nach russischen Gesetzen zu Unrecht in Haft. Sie sind sofort und bedingungslos freizulassen.
Misslungene Aktion
Dass die Aktion von Pussy Riot nicht zu einer Haftstrafe führen durfte, heißt im Übrigen nicht, dass man sie gelungen finden muss. So hat das Menschenrechtszentrum Memorial in einer öffentlichen Stellungnahme erklärt, dass politische Proteste innerhalb einer Kirche „unverzeihlich“ seien, insbesondere, wenn sie in einer Weise durchgeführt würden, die kirchlicher Praxis fremd sei.
Solche Aktionen müssten unweigerlich als Verletzung religiöser Gefühle wahrgenommen werden. Die tatsächlichen Motive der Aktion, nämlich die Kritik an bestimmten Angehörigen der Kirchenhierarchie, bleibe den meisten Menschen verborgen. Aber natürlich sei die strafrechtliche Verfolgung der Aktion weder mit der russischen Verfassung noch mit internationalen Abkommen vereinbar.
Auf diesen klaren, menschenrechtlich begründeten Standpunkt lassen sich alle russischen und internationalen Solidaritätserklärungen und Aktionen zurückführen, die es als Reaktion auf die Haft der Frauen von Pussy Riot gegeben hat – unabhängig davon, wie die Beteiligten zu der Aktion von Pussy Riot als solcher stehen.
Alles deutet darauf hin, dass an den Mitgliedern von Pussy Riot ein Exempel statuiert werden soll. Den seit Amtsantritt Putins anhaltenden Protesten soll offenbar nicht nur mit den eilig verabschiedeten Verschärfungen des Demonstrations- und Strafrechts, sondern auch mit einem harten Vorgehen gegen Einzelne begegnet werden. Demnächst werden Angeklagte wegen der Protestdemonstration vom 6. Mai 2012 vor Gericht stehen. Auch hier ist ein politisch motiviertes Verfahren zu befürchten.
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