Debatte Politik im Bundestag: Die Mini-Opposition
Linkspartei und Grünen fällt es schwer, sich als Alternative zur Regierung zu beweisen. Schuld ist nicht allein die Große Koalition.
O pposition ist das Rückgrat der Demokratie. Ohne eine leistungsfähige Opposition im Parlament, die Kritik äußert, die Regierung kontrolliert und politische Alternativen aufzeigt, ist die parlamentarische Demokratie zum aufrechten Gang nicht fähig. Zu Beginn der 18. Wahlperiode 2013 startete die Opposition unter denkbar schlechten Bedingungen. Linkspartei und Grüne stellen gemeinsam lediglich 20 Prozent der Abgeordneten im Bundestag. Eine solche Mini-Opposition hätte kaum Rechte besessen.
Doch durch die Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags ist die Opposition wieder weitgehend in der Lage, ihre Aufgaben wahrzunehmen: Gemeinsam können beide Fraktionen etwa einen Untersuchungsausschuss einsetzen, eine Sondersitzung des Bundestags einberufen, eine Enquetekommission einrichten oder eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union – nicht jedoch Verfassungsklage in Karlsruhe – führen. Dennoch ist es während der gesamten Wahlperiode den Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen schwergefallen, sich als starke Alternative zur Regierung zu beweisen.
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Aus Sicht der Oppositionsforschung führen vor allem zwei strukturelle Gründe dazu, die Linkspartei und Grünen die Arbeit erschweren. Erstens raubt Turboregieren der Mini-Opposition den erforderlichen Raum für sachverständige Kritik, nachprüfende Kontrolle und mobilisierende politische Alternativen.
In Zeiten von schnell aufeinanderfolgenden Krisen wie Bankenkrise, Eurorettung, Migrations- und Flüchtlingskrise sowie Terroranschlägen unterliegt Regieren einem extrem hohen Problem- und Handlungsdruck. Es handelt sich um Kipppunkte des Regierens, in denen besonders schnell unter mangelhafter Wissensbasis von einem kleinen Kreis politischer Entscheider gravierende Weichenstellungen mit unklaren Folgen, oft aus einem Bauchgefühl heraus getroffen werden, um Katastrophen im letzten Moment abzuwenden.
Turboregieren suggeriert Alternativlosigkeit. Es reduziert die Entscheidungsmöglichkeiten vermeintlich auf Zustimmung oder Unregierbarkeit: Sicherheit der Bankeinlangen von Millionen Bürgerinnen und Bürgern oder Bank Run, Finanztransfers für Griechenland oder Ende des Euro, Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge oder humanitäre Katastrophe.
Kaum Zeit für Willensbildung
Turboregieren ist aus Sicht des parlamentarischen Regierungssystems ein großes Problem. Der Opposition bleibt angesichts des Entscheidungsdrucks kaum Zeit für die notwendige Willensbildung im Parlament.
Zweitens erfährt die parlamentarische Opposition im Bundestag einen politischen Einflussverlust durch die Komplexität der Entscheidungswege im europäisierten Regierungssystem Deutschlands. Fleißige Mitarbeit der Opposition im Bundestag reicht nicht mehr aus. Denn der Bundestag ist nicht alleiniger Gesetzgeber. Regieren und damit notwendigerweise auch Opponieren geschieht vielerorts in einem unübersichtlichen verflochtenen föderalen Mehrebenensystem aus Regierungen und Parlamenten in der Europäischen Union, im Bund, in den Ländern und den Kommunen.
Doch nicht nur veränderte strukturelle Probleme erschweren die effektive Opposition. Die Bilanz der Mini-Opposition zeigt, dass hausgemachte Gründe ebenso schwer wiegen. Erstens nutzen Linkspartei und Grüne ihre Handlungsinstrumente im Bundestag zu wenig. Zwar können beide Parteien auf eine Erfolgsbilanz im Bereich Kritik und Kontrolle verweisen. In dieser Wahlperiode wurden bisher etwa 11.500 schriftliche Einzelfragen, ungefähr 3.050 mündliche Fragen und circa 3.700 Kleine Anfragen initiiert. Hinzu kommt die vergleichsweise hohe Zahl von fünf parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.
Doch die Messlatte für eine starke Opposition liegt höher. Denn effektive parlamentarische Opposition bedeutet auch, dass die Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wird, um politische Alternativen zur Regierungspolitik zu entwickeln. Doch die Zahl der eingebrachten Gesetzesinitiativen im Bundestag sank.
Große Anfragen zu umfangreicheren Themenbereichen sind deutlich rückläufig. Hinzu kommt, dass in den vergangenen vier Jahren vom wichtigen Oppositionsrecht auf Einsetzung einer Enquetekommission in keinem einzigen Fall Gebrauch gemacht wurde. Schwer verständlich, denn Enquetekommissionen erschließen Handlungsspielräume für den Umgang mit bedeutsamen Zukunftsproblemen. Warum initiierten Linkspartei und Grüne angesichts der enormen Herausforderungen der Flüchtlingskrise für die kommenden Jahrzehnte keine Enquetekommission „Gestaltung der Integration“?
Macht im Bundesrat ungenutzt
Zu den selbst verursachten Problemen zählt zweitens, dass es der Linkspartei und den Grünen kaum gelang, ihre Parteibeschlüsse mithilfe des Bundesrats durchzusetzen.
CDU/CSU und SPD verfügen dort nur über 16 von 35 erforderlichen Stimmen für die Mehrheit. Aufgrund der umgekehrten parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat haben Landesregierungen, in denen Grüne beziehungsweise Linkspartei regieren oder mitregieren, hohe Blockademacht. Doch erstaunlicherweise findet die Blockade nicht statt. Der Vermittlungsausschuss tagte so selten wie kaum zuvor.
Im künftigen Bundestag darf sich eine Opposition nicht erneut in erster Linie auf fleißige Kritik und Kontrolle der Regierung beschränken. Eine kraftvolle Opposition – gerade in der Auseinandersetzung mit der AfD – muss ein starkes Gewicht auf die Entwicklung politischer Alternativen, im Unterschied zu rechtspopulistischen Scheinlösungen, legen. Dafür muss sie dem Turboregieren den souveränen Umgang mit der Zeit entgegensetzen. Denn parlamentarische Opposition hat ihre eigene Taktung, die es ermöglicht, längerfristige Politiklösungen zu formulieren und programmatische Debatten als Kontrapunkt zum Turboregieren zu führen.
Zudem kann ein besseres Oppositionsmanagement helfen, Strategien und Instrumente zu entwickeln, um der Stimme der Opposition in den Parlamenten wieder mehr politischen Einfluss zu verschaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden