Debatte McCain und Palin: Ein impulsiver Militarist
Wenn McCain die US-Wahlen gewinnt, werden auch die Europäer einen hohen Preis zahlen. Die Nominierung von Sarah Palin zeigt, dass McCain ein Hasardeur ist.
D ie USA wenden eine Menge Geld auf, um Europäer mit der amerikanischen Gesellschaft und Kultur vertraut zu machen. Es gibt Stipendien für Schul- und Hochschulbildung sowie Reisezuschüsse für potenzielle oder tatsächliche Führungskräfte. Es gab (und mitunter gibt es sie immer noch) diskrete Zahlungen an Akademiker, Journalisten und Politiker durch die CIA. Darüber hinaus werden Figuren des öffentlichen Lebens, die den USA freundlich gesinnt sind, nach Harvard, Princeton oder Stanford eingeladen. (Die unabhängigen Geister müssen für ihre Reisen allein aufkommen.)
Wenn ich die stereotypischen Berichte vieler deutscher Kommentatoren über unsere Wahl lese, erscheinen mir diese Ausgaben weitgehend verschwendet. Plumpe Klischees sind im Überfluss zu finden. Differenziertes Denken hingegen fällt nur durch seine Abwesenheit auf.
Nehmen wir die Nominierung von Sarah Palin als republikanische Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Jeder von den Republikanern propagierte Unsinn wurde in Deutschland wie eine Wahrheit wiederholt. Angeblich sei Palin die Stimme des Kleinstadt-Amerikas - und mehr noch die Rache an den allzu gebildeten Snobs, die auf die Provinz herabblicken. Nur gibt es nicht besonders viel, worauf man hinabschauen könnte. Die US-amerikanische Volkszählung von 2000 ergab, dass 80 Prozent der Amerikaner in Ballungsgebieten leben.
Palin war John McCains zweite Wahl. Eigentlich hatte er seinen Freund, den demokratischen Renegaten und Senator Joe Lieberman aus dem Bundesstaat Conneticut, bevorzugt. Lieberman ist Imperialist, aber kulturell eher liberal gesinnt - und er ist Jude. Seine Nominierung hätte die christlichen Fundamentalisten noch weiter gegen McCain aufgebracht, dessen Leben nicht unbedingt durch heilige Askese aufgefallen ist. (Die Fundamentalisten ziehen den jüdischen Anwälten israelische Generale vor.) Andererseits hätte Liebermans Nominierung die republikanischen Chancen bei Wechselwählern erhöht, McCains einziger Weg ins Weiße Haus. Stattdessen verwarf der Kandidat impulsiv einen Großteil seiner bisherigen Strategie.
McCain nominierte Palin als eine authentische Stimme des konservativen Christentums. Sie nimmt die Bibel wörtlich und möchte, dass christliche Schöpfungsgeschichte statt Evolution an Schulen unterrichtet wird. Sie ist homophob und eine scharfe Verfechterin sexueller Abstinenz vor der Ehe. Die Schwangerschaft ihrer unverheirateten 17-jährigen Tochter hat Palins Anziehungskraft für ihre Befürworter nicht geschmälert. Ihnen scheint die Schwangerschaft nur ein Beweis dafür zu sein, dass Gott wirklich gebraucht wird - und die Zahl vorehelicher Geburten ist schließlich in denjenigen Bundesstaaten am höchsten, die auch die höchste Zahl fundamentaler Christen aufweisen. Die Stimmengewinne, die Palin der McCain-Kampagne einbringt, werden sehr wahrscheinlich wieder aufgefressen werden durch Verluste bei jenen Bürgern, die diese Auffassung von Religion abstoßend finden. Christliche Fundamentalisten stellen 20 Prozent der amerikanischen Wähler - und nicht alle von ihnen sind Republikaner.
McCain steht nun vor der Hürde, sich seinen Wählern als ein unabhängiger Kandidat zu präsentieren, der offen für Ideen und Anhänger beider Parteien ist. Die Bush-Jahre wurden während des Parteitags mit einer Kunstfertigkeit wegretuschiert, die einem stalinistischen Parteitag zur Ehre gereicht hätte. Palin ist dabei nur eine mäßige Hilfe. Sie festigt die Basis der extrem parteitreuen Republikaner, die stetig enttäuscht sind, dass ihre Ideen gelobt und ihre Kandidaten ignoriert werden. Vielleicht kann sie die Stimmen weißer Frauen aus der Arbeiterklasse an sich ziehen, deren ökonomische Bedürfnisse und soziale Interessen sie in einer rationaleren Nation dazu bringen würden, die Demokraten zu wählen. Das sind die Wähler, auf die Obama fremd und bedrohlich oder zumindest sozial abgehoben wirkt.
Die Schwierigkeiten McCains sind vielfältig. Seine wirtschaftliche und soziale Agenda ist von der Bushs nicht zu unterscheiden: Er möchte Steuern und Regierungsausgaben senken und den Rest dem Markt überlassen. Er behauptet, gegen "Washington" zu sein, wo er seit 1982 lebt und arbeitet. Und nun hat er eine tollwütige Parteikriegerin verpflichtet. Berücksichtigt man ihre Unerfahrenheit (ihre Berater haben jeden Medienkontakt bis auf weiteres unterbunden), McCains Alter und seine schlechte Gesundheit, so wird deutlich, dass Palins Nominierung ein kolossal unverantwortliches Glücksspiel darstellt. Noch ist jedenfalls nicht klar, ob sie einer weiteren Untersuchung ihrer Vergangenheit standhält.
Der Vizekandidat entscheidet den Wahlausgang nur selten. Lyndon B. Johnson hat zwar John F. Kennedy beim Wahlerfolg von 1960 geholfen, indem er den Bundesstaat Texas für sich gewann und die demokratischen Wähler aus den Südstaaten überzeugte. Außer Politikprofessoren und Journalisten hat sich aber seitdem niemand große Sorgen über die Vizekandidaten gemacht. Palin könnte ebenso schnell wieder in Vergessenheit geraten, wie sie in der Öffentlichkeit aufgetaucht ist.
Momentan führt Obama in den Umfragen mit einem hauchdünnen Vorsprung von 2 bis 3 Prozentpunkten. Als Partei hingegen liegen die Demokraten mit mindestens 10 Prozentpunkten vor den Republikanern in den Umfragen für Senat und Repräsentantenhaus. Kann Obama diese Demokraten durch wirtschaftliche und soziale Themen mobilisieren, so könnte er die Wahl gewinnen. McCain setzt stark auf das Thema einer Bedrohung aus dem Ausland, die nur er allein abwehren könne. Bisher haben die Demokraten davor zurückgeschreckt, ihn als das zu charakterisieren, was er ist: ein impulsiver Militarist, der Amerikas Macht für grenzenlos hält. Vielleicht werden sie dazu jedoch gezwungen - schon durch die Logik des Wahlkampfes -, obwohl sie selbst auch nur einer etwas verfeinerten Version unserer imperialen Obsession anhängen. Als Abschiedsgeschenk für McCain sind George Bush und Dick Cheney dabei, einen Konflikt mit Russland um die Ukraine zu entfachen - der zeitlich passend noch vor der Wahl im November explodieren soll.
Europas Öffentlichkeit und Regierungen, die McCains einzigartige Kombination von Aggressivität und Dummheit fürchten, könnten Obama helfen. Sie könnten deutlich machen, dass sie nicht als Zuarbeiter einer militärischen und politischen Isolierung Russlands dienen werden - und dass sie nicht bereit sind, sich der amerikanischen Abenteuerlust zu unterwerfen. Dies würde sicherlich ein Maß an Autonomie verlangen, das man von den meisten Regierungschefs der Europäischen Union bisher kaum kennt. Aber es ist kein Trost, dass wir in den USA nicht die Einzigen wären, die einen hohen Preis für einen Sieg McCains zahlen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“