Debatte Klimaschutz: Vergesst Kopenhagen!
Die Fixierung auf die Politik ist falsch. Wichtiger wäre es, gesellschaftliche Blockaden in Sachen Klimaschutz zu lösen. Zeit für eine Umwelt-Avantgarde!
D ie Klimakonferenz in Kopenhagen naht, die Zahl der besorgten Berichte nimmt zu. Am Ende wird die Entrüstung groß sein. Gemein! Die Politiker haben uns wieder nicht gerettet.
Selbstverständlich würde mehr internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz helfen, besonders beim Schutz der Wälder. Ob es in den nächsten Jahren jedoch Fortschritte gibt, hängt davon ab, ob es westlichen Gesellschaften gelingt, die entsprechenden Technologien und Märkte voranzubringen und einen neuen, klimafreundlicheren Lebensstil zu zelebrieren. Die gute Nachricht ist: Die deutsche Gesellschaft hat alle Voraussetzungen, zu dieser Avantgarde zu gehören. Wir finden Klimaschutz recht wichtig, haben finanzielle Spielräume und große wirtschaftliche Potenziale.
Doch warum sind auch wir so zögerlich, wenn es drauf ankommt? Weil die deutsche Gesellschaft ihre Ausreden immer noch auf höchstem Niveau pflegt. Zum Teil ist das eher eine kulturelle als eine ökonomische Blockade, die Ausreden sind fadenscheinig: Wir können ja gar nicht alle plötzlich Kleinwagen kaufen! Wir können unsere Häuser gar nicht ruckzuck dämmen! Und wir können nicht auf den Bau von Kohlekraftwerken verzichten!
Martin Unfried, 43, ist Autor der taz-Kolumne "Ökosex" und arbeitet als Dozent am European Institute of Public Administration in Maastricht im Bereich der EU-Umwelt- und Klimapolitik.
Peter Unfried, 46, ist Chefreporter der taz. Er spricht am Donnerstag, den 26.11.2009, beim utopia-Kongress in Berlin über die neue Umweltbewegung.
Warum eigentlich nicht? Heute ist auch eine 95-prozentige Minderung bis 2050 technisch und ökonomisch keine Utopie mehr, wie die jüngste Studie des WWF "Modell Deutschland" zeigt. Aber was muss sich tun, damit eine Regierung ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen auch politisch überlebt? Dafür braucht es nichts weniger als eine kulturelle Revolution.
Es gibt einen Trend zu grüner Rhetorik, auch ein Teil der Verbraucher tickt ökologisch. Aber bisher gibt es im gesellschaftlichen Mainstream keine deutlichen Signale für konsequenten Klimaschutz. Im Gegenteil: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem ADAC vor der Wahl versprochen, es werde mit ihr kein Tempolimit und keine ehrgeizigeren CO2-Standards bei Autos geben. Mit Blick auf die Wähler war diese Entscheidung richtig: Eine unglaubwürdige Klimapolitik hat bisher keiner Partei geschadet. Daher war auch die absurde Abwrackprämie politisch durchaus rational. Darum wird es Zeit, sich professionell damit zu beschäftigen, was mit dieser Gesellschaft los ist. Besonders Umweltverbände müssen sich neben der Politik auch die Ausredengesellschaft vorknöpfen.
Wir schlagen ein gesellschaftliches Kopenhagen-Aktionsprogramm vor mit vier Punkten, um die progressiven Strömungen der Gesellschaft mit frischen Ideen zu unterstützen.
Grün scheint in zu sein, jedenfalls wenn man oberflächlich den Werbebotschaften glaubt. In Wahrheit werben einzelne Industriezweige immer noch mit Milliardenaufwand für Spritvergeudungsgefühle, schmutzigen Kohlestrom und einen verschwenderischen Lebensstil. Es fehlt im Kampf um Deutungshoheit eine Klimaschutzeinrichtung, die sich jenseits der rationalen Argumente um emotionale Fragen kümmert. Die Agentur für Klimakultur sollte aus der Gesellschaft heraus mit Spendengeldern gegründet werden. Die Anzettelung einer spektakulären Massenkündigung bei kohlelastigen Stromkonzernen wäre beispielsweise das erste große Projekt. Gerade die bescheidenen Stromwechselkampagnen haben bisher gezeigt, dass die Umweltverbände im Kampf um Verbraucherherzen unbedingt Unterstützung brauchen.
Diskussionen über persönlichen Klimaschutz bleiben häufig recht oberflächlich, sogar bei Umweltaktivisten. Dabei brauchen wir eine gesellschaftliche Avantgarde, die in ihrem Privatleben professionell vorangeht. Wir schlagen als Kommunikationsinstrument den "50-Prozent-Club" vor: 50 Prozent weniger CO2 beim privaten Strom, bei der Heizung und beim Autoverkehr mit klarer Angabe des Zieljahrs. Dabei ist dieser Club keine neue Organisation, sondern ein Label. Wer privat ernst machen will, ist dabei. Kein komplexes Gerede über Tonnen von CO2, sondern Sprit, Strom und Wärme als einfache Indikatoren. Vorteil: Wir müssen endlich absolute Zahlen nennen und deshalb Dinge tun und kommunizieren, die wirklich etwas bringen. Ob das Lebensstilveränderungen sind, der Kauf von Effizienztechnologien oder der Umstieg vom Kunden zum Energieproduzenten, bleibt jedem selbst überlassen. Hauptsache, weg vom unsäglichen Energiesparlampen-Smalltalk.
Gesellschaftliches Tempolimit
Die emotionalen Totalblockaden finden sich in Deutschland immer noch im Verkehrsbereich. Unser Vorschlag: Die Umweltverbände verkünden ein gesellschaftliches Tempolimit. Dazu brauchen wir die Politik nicht. Warum nicht schwarz-rot-goldene "Tempo-120"-Aufkleber drucken und versuchen, Millionen Autofahrer zu gewinnen? Mal sehen, wer sich auf der linken Spur provoziert fühlt. Wird die Politik dagegen sein? Der ADAC? Dazu eine Kampagne für Neuwagenkäufer: kein Auto über 110g/km CO2. Auch hier brauchen wir keine Bundesregierung, um einen Standard zu setzen. Aber klare und ehrgeizige Ansagen, die Teile der Gesellschaft offensiv vertreten.
Die Klima-Autobahn
Bisher fehlt dem Klimaschutz ein nationales Großprojekt. Deshalb ist das von Hermann Scheer vorgeschlagene Konzept eines "Leuchtturms" so wichtig: die Energieallee A 7 an der längsten deutschen Nord-Süd-Autobahn mit mehr als 1.200 Windmühlen. Diese Idee hat eine kulturelle und emotionale Komponente. Die Umdeutung der Autobahn zur Energieautobahn geht in Sachen Verspargelungsdiskussion in die Offensive. Die A 7 wird so zum kulturellen Klimaschutzprojekt mit internationaler Ausstrahlung. Und, besonders wichtig für die Entwicklung und Pflege von Klimaschutzgefühlen: In den Landkreisen an der A 7 können spektakuläre Erlebniswelten des Klimaschutzes entstehen.
Also: Vergessen wir Kopenhagen. Knöpfen wir uns die Ausredengesellschaft vor. Der Kampf um den Mainstream hat gerade erst begonnen.
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