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Debatte Gewalt in PartnerschaftenDie Scham ist nicht vorbei

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Trotz guter Gesetze hat sich gesellschaftlich wenig bewegt: Noch immer schweigen Frauen nach Gewalt – wegen Schuldgefühlen oder aus Angst.

Wer vom Partner geschlagen wird, denkt nicht selten, er sei selbst schuld Foto: Imago/Ikon Images

D ie junge Frau ist irritiert. Eins der vier Fotos auf dem Bildstreifen, den sie gerade aus dem Fotoautomaten gezogen hat, zeigt ihr Gesicht mit blauen Flecken, blutender Nase und Prellungen. Ungläubig streicht sie sich übers Gesicht: Ich habe doch gar keine aufgeplatzte Lippe. Sie versucht, das Bild zu „säubern“. Doch sosehr sie auch darauf herumwischt, die Zeichen offensichtlicher Gewalt kleben auf dem Bild.

Was ist das? In diesem Fall: ein Fake. Die Frau ist auf eine Aktion von Terre des Femmes und des „Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen“ hereingefallen. Die Menschenrechtsorganisation und die bundesweite Beratungshotline haben am 8. März mitten in Berlin einen Fotoautomaten aufgestellt, der weibliche Gesichter erkennt und jeweils eines auf dem Bilderstreifen so verändert, dass die Frau darauf aussieht, als wäre sie verprügeltet worden. Die Aktion, die gefilmt wurde und jetzt als Spot im Internet zu sehen ist, sollte darauf aufmerksam machen, dass jede vierte Frau Gewalt durch ihren aktuellen oder einen Expartner erlebt.

Das nicht einmal zwei Minuten lange Video hat alles, was Aufklärung zu diesem Thema braucht: eine alarmierende Zahl und den knappen Hinweis: „Wenn es jeder vierten Frau passiert, kann es auch dich betreffen oder Freunde oder Familie“.

Wir wissen nicht, ob eine der rund 60 Frauen, die sich am Frauentag auf dem Alexanderplatz fotografieren ließen, betroffen ist. Ebenso wenig wissen wir, ob die Botschaft des Spots, den man im Internet sehen kann, angekommen ist und die Frauen später mit ihrer Familie oder mit ihren Freundinnen und Freunden darüber geredet haben. Was wir aber wissen: Der Gewalt in Partnerschaften wird in der Gesellschaft bei Weitem nicht die Bedeutung beigemessen, die sie tatsächlich hat. Und das trotz zahlreicher und guter Gesetze.

Kein Verhalten rechtfertigt Gewalt

Das bewirkt unter anderem, dass über das, was zu Hause geschieht, nicht offen gesprochen wird – aus Scham, aus Ratlosigkeit, aus Angst. Oder aus dem Gefühl heraus, mitschuldig zu sein an der Gewalt: Warum habe ich auch darauf bestanden, mit meiner Freundin ins Kino zu gehen statt die Wäsche zu machen?

Unabhängig davon, dass kein Verhalten Gewalt rechtfertigt, betrachten nicht wenige Betroffene Prügeleien in den eigenen vier Wänden als Privatangelegenheit. Daran konnte das Gewaltschutzgesetz, das seit 15 Jahren gilt, nicht viel ändern. Dabei ist das Gesetz gut: Polizei und Gerichte können nach erwiesener Gewalt dafür sorgen, dass der Täter für eine Weile nicht in die Wohnung des Opfers darf. Er darf auch nicht an jenen Orten auftauchen, wo sich das Opfer regelmäßig aufhält.

Vielfach nutzten Täter den Moment der Kinderübergabe zu erneuten Angriffen auf die Frau

Während noch vor 40 Jahren der damalige Kölner Sozialdezernent Hans Erich Körner behauptete, dass man die Männer, die ihre Frau verprügeln, in einer Schubkarre wegfahren könne, sind Politik, Polizei und Justiz mittlerweile alarmiert und informiert.

Das Gewaltschutzgesetz hat weitere Grenzen: Sobald ein Paar gemeinsame Kinder hat und der prügelnde Mann darauf besteht, diese auch zu sehen, muss die Frau das zulassen. So schreibt es das (grundsätzlich richtige) Umgangsrecht vor – und hebelt damit den Gewaltschutz aus. Vielfach nutzen Täter die Momente der Kinder­übergabe zu erneuten Angriffen auf die Frau. Auch das bleibt der Öffentlichkeit meist verborgen. Wiederholte Angriffe werden in der Regel nur bekannt, wenn sie so drastisch enden wie 2013 in einem Fall in Bonn. Als die Frau dem Mann das gemeinsame Kind brachte, schlug er zu, Passanten riefen die Polizei.

Bei Gewalt kein Umgang mit dem Vater?

Expertinnen und Experten fordern seit Jahren, das Gewaltschutzgesetz dahin gehend zu ändern, dass Mütter beispielsweise im Namen ihrer Kinder beantragen können, dass sich der Vater ihnen nicht mehr nähern darf. Zudem sollten Gerichte bei „Gewaltfamilien“ nicht mehr in sogenannten beschleunigten Verfahren über Sorge- und Umgangsrecht entscheiden. Manche Gerichte verhandeln heute solche Fälle, ohne auch nur einmal die Eltern angehört zu haben.

Die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hatte die Gesetzeslücke erkannt. Sie sagte im Herbst vergangenen Jahres auf einem Podium zu häuslicher Gewalt: „Da, wo Partner gewalttätig sind, muss der Umgang ausgesetzt werden.“ Sie versicherte, ihr Haus sei mit dem Justizministerium im Gespräch, um das Umgangsrecht nachzubessern.

In Schweden, dem Musterland in Sachen Gleichstellungspolitik, ist man längst weiter. Im kommenden Januar will die Regierung eine neue Gleichstellungsbehörde einrichten. Über die wichtigsten geplanten Arbeitsbereiche hat Gleichstellungsministerin Åsa Regnér kürzlich in Berlin berichtet. Der Umgang mit häuslicher Gewalt soll eine große Rolle spielen: Prävention, verstärkte Aufdeckung von Partnerschaftsgewalt, mehr Schutz für betroffene Frauen und Kinder.

Ob die Schweden das alles so umsetzen werden, wie die sozialdemokratische Ministerin es angekündigt hat, wissen wir noch nicht. Bemerkenswert aber ist insbesondere ein Vorhaben: die „wirkungsvollere Strafverfolgung“ von Tätern häuslicher Gewalt.

Zu milde Strafen

Ein Ansatz, der ebenso für Deutschland interessant sein könnte. Hierzulande werden gewalttätige Männer nur sehr selten verurteilt und mit meist geringen Strafen bedacht. Kürzlich hatte das Amtsgericht Burgwedel einen 26-Jährigen zu acht Monaten auf Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, nachdem er seine Frau so heftig verprügelt und ihr dabei Knochen gebrochen hatte, dass ein Zeuge sagte: „Ich dachte, sie wäre tot.“

Das Burgwedeler Urteil fiel unter anderem so „mild“ aus, weil der Mann ein Antiaggressionsseminar absolviert hatte. Täter in Antigewaltprogramme zu schicken ist unabdingbar. Wie sonst sollen sie ein Unrechtsbewusstsein und Strategien entwickeln, auf ihre Wut und Aggression anders als mit Schlägen zu reagieren?

Das Problem in Deutschland aber ist: Die wenigen Angebote für gewalttätige Männer sind überlaufen und – wie auch Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen – chronisch unterfinanziert. Dem für Berlin wichtigen Zentrum für Gewaltprävention beispielsweise wurden die Lottomittel, die das Täterprojekt bislang erhielt, gerade nicht verlängert. …

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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8 Kommentare

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  • Ich fänd's cool, wenn die TAZ das Thema häusliche Gewalt ein wenig umfassender angehen könnte. Das Thema häusliche Gewalt betrifft in der Mehrheit Frauen. Und auch Männer, und Kinder aller Geschlechter und es kommt auch in nicht heteronormen Partnerschaften vor.

    In folgenden Artikel steht z.B., dass bei irgendwo zwischen 10% und 20% der Fälle physischer häuslicher Gewalt diese von Frauen ausgeht:

    www.zeit.de/politi...alt-frauen/seite-2

    Ich kenne selbst mindestens einen Fall, in dem eine Frau ihren Mann regelmäßig blutig geschlagen hat. Alle Nachbarn dieses Paares - darunter eine links ausgerichtete WG - wussten das. Niemand hat etwas unternommen. Warum eigentlich nicht? Weil es nicht ins Bild passt?

  • Antigewalttrainings haben ihre Berechtigung. Da wo gewalttätiges impulsives Verhalten, womöglich noch in Kombination mit dem Konsum von Alkohol und/oder anderen Suchtmitteln gezeigt wird, ist eine spezifische psychotraumatologische Behandlung indiziert. Für beide: die Person, die in einer Partnerschaft Gewalt ausübt und deren Opfer. Informationen gibt es hier http://www.degpt.de und http://www.emdria.de.

     

    Hintergründe zur Partnerschaftsgewalt https://www.re-empowerment.de/

     

    Die schwächsten der Leidtragenden werden aber in solchen Debatten bezeichnenderweise oft ausgeblendet und das sind die Kinder, die in Familien leben, in denen verschiedene Formen von Gewalt und Ausbeutung gelebt werden. Nicht selten kommt es zu Parentifizierungen wenn defensiv handelnde Erwachsene Kinder zu einer Art "Gefühlswiederaufladestation" machen oder gar Kinder vermittelnd und beschwichtigend eingreifen, sobald sich Konflikte anbahnen. Eine furchtbare Form der Rollenumkehr, die wesentlich dazu beiträgt, die konflikthaften Beziehungsgestaltungen transgenerational weiterzugeben.

  • "Der deutsche Feminismus hat seine schwerste Niederlage aber bereits Anfang des Jahres erlitten: Sexuelle Gewalt, einmal eines der wichtigsten Themen des Feminismus, wird seit der Kölner Silvesternacht als Problem der Einwanderungspolitik behandelt. Im Jahr 2015 waren laut BKA knapp 72 Prozent der ihre Frauen prügelnden, vergewaltigenden Männer in diesem Land Deutsche."

     

    Dieses Zitat stammt aus der ZEIT Nr. 50 vom 1.12.2016.

    Von Elisabeth Raether

     

    Was ist dann die weitere Entwicklung?

  • Als Mann, der Gewalt von einer Ex-Partnerin erhalten hat, finde ich diesen Artikel sehr unangebracht. Er sagt Männer=Täter und Frauen=Opfer. Nie in der anderen Konstellation, die existiert, aber verschwiegen wird, da sie nicht in das Bild des aggressiven Mannes passt.

  • Schade das am internationalen Vatertag (heute!) die Gewalt von Frauen an Männern keine Erwähnung findet. Versteht mich nicht falsch, JEDE Gewalt ist falsch und es ist gut wenn dies benannt wird.

    Ich wünschte nur, diese Einseitigkeit würde endlich aufhören. Bevor jetzt jemand behauptet das es nur wenig oder keine Gewalt von Frauen gegen Männer gäbe, möchte ich erwähnen das die Dunkelziffern hoch sind es aber keinerlei offizielle Zahlen gibt. Aus 2 Gründen: Wie auch im Artikel steht, schämen sich leider noch zu viele Frauen. Ein Problem das Männer auch haben, werden sie doch noch immer gern als das "starke Geschlecht" gesehen. 2. interessiert es die Politik nicht. Das Familienministerium antwortet seit Jahren auf Anfragen nur "Dafür ist kein Geld da". Es gab unter Von der Leyen eine Pilotstudie zum Thema Gewalt von Frauen an Männern. Diese zeigte eine ungefähre Gleichverteilung, verschwand aber leider schnell wieder und für eine Fortsetzung fehlt das Geld...

    Das Gewaltschutzgesetz ist sicherlich gut gedacht. Die Umsetzung aber schon sexistisch. Wenn nicht klar ist wer die Gewalt angefangen hat (was meist unklar ist) wird meist profilaktisch der Mann aus seiner Wohnung und von seinen Kindern entfernt. Was nicht nur seinen Ruf ruiniert, er kann auch die Kinder nicht mehr schützen falls die Gewalt nicht von ihm ausging.

     

    Alles nicht so einfach. Es wäre schön wenn oft schlicht Menschen gesehen werden, nicht Geschlechter.

  • Zur Vervollständigung des Gesamtbildes ein Beitrag der 'Zeit' zur weiblichen häuslichen Gewalt an Männern:

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-03/maenner-gewalt-frauen

    • @Nikolai Nikitin:

      Hm, schade, gleich der erste Kommentar zu diesem Thema "zur Vervollständigung des Gesamtbildes" geht meiner Meinung nach am eigentlichen Problem vorbei: die enorme Verbreitung häuslicher Gewalt. Dazu gibt es immer noch keinerlei verlässliche Zahlen, nur Schätzungen. Ich als Mann finde den Artikel weitgehend neutral formuliert. Vielleicht kann man sich als Mann im Zweifel einfach mal "mit-gemeint" fühlen. Frauen können das doch auch.

      • @Michael Dietz:

        Mit-gemeint ? Ich bitte um Erläuterung. Das konnte ich hier nicht erkennen.

         

        Denn: In der überwiegenden Zahl von taz-Artikeln versucht man beide Geschlechter mit einzubeziehen, entweder durch das Binnen-I, das Gender-* oder durch tatsächliche Nennung der beiden Geschlechter. Wenn es nun um häusliche Gewalt geht, sollen plötzlich nur noch Frauen auf der Opferseite und Männer auf der Täterseite genannt werden ? Das begreife ich nicht, denn häusliche Gewalt wird tatsächlich von Angehörigen beider Geschlechter verschuldet.