Debatte Erfolg der Umweltbewegung: Kurz vorm Ökoparadies
Diesel-Skandal, Braunkohle-Zoff: Das sind Abwehrkämpfe der Kohle-und-Benzin-Industrien. Tatsächlich stehen wir vor einer ökologischen Zeitenwende.
W ir schreiben das Jahr 2050. Die Luft ist sauber, fast geräuschlos surren autonome Elektrofahrzeuge umher. Die breiten Straßen, die das Leben in den Städten einst zerschnitten, sind jetzt einspurig, ersetzt durch Wiesen zum Rumliegen und Nachdenken. Jedes Fenster, jede Fassade erzeugt Sonnenenergie. Kein Kohlestrom, kein Atomstrom. Unsere iBrains, Hirnimplantate für den Cyberspace, sind aus komplett recycelten Materialien hergestellt.
Diese Utopie – bis auf die iBrains und die schmalen Straßen – stammt von der EU-Kommission und der Bundesregierung. Wichtige Rohstoffe sollen künftig wiederverwertet, die Energieversorgung hocheffizient sein und fast keine Klimagase mehr emittiert werden. So sehen es diverse politische Absichtserklärungen vor, vom Pariser Klimaschutzabkommen über den deutschen Klimaschutzplan 2050 bis zu den EU-Plänen für eine Kreislaufwirtschaft.
Sollte es so kommen, würden wir noch lange nicht im Paradies leben. Auch in einer Öko-Welt wird es Gier und Hass geben, weil der Mensch ist, wie er ist. Aber abgesehen davon gibt es Grund zum Optimismus – und zwar nicht trotz, sondern wegen des Dieselskandals und der Diskussion um die Kohle.
Noch vor zehn Jahren schien es undenkbar, dass Deutschland ein Datum für den Ausstieg aus der Kohle nennt. Heute sind nicht einmal RWE oder die Bergbaugewerkschaft grundsätzlich dagegen. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie. Ganz deutsch im Konsens moderiert von einer Kohlekommission, in der Ökos und Industrie Armdrücken spielen dürfen. Keine gesellschaftliche Kraft in Deutschland zweifelt mehr grundsätzlich am Klimaschutz. Außer der AfD.
Vorboten einer Zeitenwende
Ein Blick auf die Automobilindustrie: Die wird von einem Haufen arroganter Lügner geführt, aber eben diese bringen gerade echte Elektrofahrzeuge auf den Markt. Der Diesel-Skandal hat dem Land zwar gezeigt, dass Teile der Regierung von der Autolobby unterwandert sind. Er hat aber auch gezeigt, dass ein kleiner Verein wie die Deutsche Umwelthilfe eine Milliardenbranche besiegen kann. Dass es Umweltgesetze gibt, vor denen Bosse zittern.
All diese Erschütterungen sind Vorboten einer Zeitenwende. Pro-Braunkohle-Protest und Diesel-Manipulationen sind Abwehrkämpfe der Kohle-und-Benzin-Industrien, die auf dem Rückzug sind und versuchen, ihre alten Kühe zu melken, bis sie tot umfallen. International werden Elektrofahrzeuge der Megatrend der nächsten Jahrzehnte, vorangetrieben von staatlichen CO2-Vorgaben und Herstellern aus China.
Auch in der Energiewirtschaft „geht das fossile Zeitalter zu Ende“, um RWE-Chef Schmitz zu zitieren: Kaum einer hat es mitbekommen, aber Strom aus neuen Solarkraftwerken ist billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken – und das nicht in Südspanien, sondern in Deutschland. Die Preise für Batterien, die den Sonnenstrom speichern können, fallen und fallen. 2010 waren sie noch fünfmal so teuer wie heute.
Der Rahmen, vor dem Probleme verhandelt werden, ist gesetzt: Ökologie und Klimaschutz neben Arbeitsplätzen und Wirtschaft. Das ist ein großer Zwischenerfolg der Ökobewegung. Trotzdem wäre es falsch anzunehmen, dass auf Kapitalismus automatisch der Ökokapitalismus folgt. Und dass der nicht nur ein gigantisches Brainwashing wird, um weiter den Überkonsum der weltweiten Mittel- und Oberschicht zu legitimieren. Auch Solarzellen, Windräder und vor allem E-Autos verbrauchen Ressourcen, Platz und Natur. Je weniger davon, desto besser.
Führt die Menschheit Krieg gegen die Natur, dann haben wir immerhin für übermorgen einen Waffenstillstand vereinbart. Mehr aber auch nicht. Die paar Windräder und Solaranlagen sind nur ein kleiner Anfang im Hinblick auf den gewaltigen Wandel, der vor uns liegt. In den nächsten 20 Jahren könnten Regionen verarmen, die an der Kohle hängen.
Das E-Auto rettet die Autoindustrie
Die Autoindustrie wird die Kurve in Richtung autonomes E-Auto schon kriegen. Aber die Zulieferer, die kaum Margen erzielen und wenig finanzielle Reserven für den Wandel haben, droht es zu zerlegen. Daraus ergeben sich soziale Fragen, die man vielleicht mit Verweis auf die Pariser Klimaziele für irrelevant erklären könnte. Aber das wäre ein gewaltiger Fehler.
Man wird nicht alle einfach zu Solartechnikern umschulen können. Besonders Ältere werden Jobs verlieren; sie sind anfällig für Kräfte, die Klimaschutz als elitären Schnickschnack diskreditieren. Die AfD setzt jetzt schon auf diese Anti-Öko-Karte. Vom Menschen gemachten Klimawandel gibt es laut AfD nicht. Das ist Schwachsinn für jeden, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, aber stößt in einen Schwachpunkt des Anti-Braunkohle-Protests: Statt zum Hambi zu marschieren, müssten sich AktivistInnen mit RWE-Bergleuten zusammensetzten und fragen, was man für sie tun kann.
Um eins klarzustellen: Klimaschutz kostet volkswirtschaftlich nichts. Er lässt die klügsten Köpfe eines Landes Ideen entwickeln, neue Produkte und Technologien schaffen. Die werden die Exportschlager von morgen. Es ist deshalb unerträglich, wie RWE und Kohlegewerkschaft argumentieren. Die ewige Leier vom Ende des Industriestandorts Deutschland, vom teuren Klimaschutz. Aber sie haben das Recht, sich für ihre Leute ins Zeug zu legen.
Und es ist die verdammte Pflicht demokratischer Parteien und Institutionen, die Menschen, die der Ökostrukturwandel auf der Strecke lässt, nicht im Stich zu lassen. Deshalb macht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gerade vieles richtig: Hängt sich rein für die Leute, die Angst haben, ihre Jobs zu verlieren. Genau die darf man nicht Rechtspopulisten überlassen. Sonst kippt der große Konsens, der große Rahmen, dass die Notwendigkeit des Klimaschutzes grundsätzlich nicht mehr verhandelbar ist.
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