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De immortalitate

■ Michel Serres in der Académie francaise

Aus gegebenem Anlaß ohne Säbel, dafür jedoch gewappnet mit den ehernen Gesetzen der französischen Dissertation traf sich die Acad'emie Francaise zu Paris, um einen Nachrücker in ihren Kreis der Ewigen aufzunehmen: Michel Serres. So stand es in der Zeitung. Und damit wir Sterblichen es auch glauben, wurden auf vier Seiten Rede und Widerrede des neuen, bzw. des letzternannten Akademikers abgedruckt. Michel Serres, der so kunstvoll über den Ball, Tim und Struppi und die Leibnizsche Monade schreiben kann, jener scharfsichtige, letzte Enzyklop unserer einäugigen Zeit — auch er hat sich also den Usancen der Académie bestens angepaßt und seine Rede als Stilübung vollzogen. Eine bildungstriefende Kür über das Thema „Aus dem Leben eines Faures“, so nämlich hieß sein Vorgänger auf dem 18. Akademikerstuhl. Vorname Edgar. Ich las es bis zur Hälfte und schloß ermüdet die Augen. Da sah ich sie. 18 greise Herren und Damen, auf eichernen Balken treibend in einem Meer von Unwissenheit, die goldenen Tressen vom Salz zerfressen, zur Unsterblichkeit verdammt wie der Fliegende Holländer. Ein unaufhörliches Gemurmel war da zu hören, ein Zitieren, Rezitieren, Deklamieren, im ewigen Takt von Prolog, Hauptteil A und B und Schluß. All die pensées und discours, die Verse, Aphorismen und Traktate, die uns der heilige Esprit geschenkt hat, sie werden hier am Leben erhalten, wie Suren ständig im Munde bewegt, für daß sie seien immerdar. Am morschen Steuer der neue Akademiker Michel, der einzige, der außer dem Normale Sup-Abschluß auch das Kapitänspatent besitzt. Wie er den Sextant bedient, wie er in infinitesimalen Wendungen über Pascal diskurriert, den blauen Blick in der Kosmologie verloren... Und hoch oben, auf dem Mast, hell und leuchtend: der accent circonflex, Trophäe geschlagener Schlachten gegen die überall nagenden Modernisierer der Sprache Racines, ein knapp gerettetes Versprechen, daß sich nie, niemals etwas ändern wird im Pariser Reich des Geistes, solange es die Akademiker gibt, mit oder ohne Säbel.

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