: David ringt gegen Goliath
Zehn Jahre Flüchtlingshilfe: Die kirchliche Beratungsstelle Fluchtpunkt warnt vor wachsender Abschiebewut und einer Ausländerbehörde, die ein „unkontrolliertes Eigenleben“ führt. Abschiebeangst mache Flüchtlinge krank. Duldung für Rhoda
von Eva Weikert
Hamburgs Ausländerbehörde agiert „außer politischer Kontrolle“. Das beklagt Anne Harms von der kirchlichen Flüchtlingshilfe Fluchtpunkt. Vor zehn Jahren hat sich die Hamburger Anlaufstelle in Reaktion auf die Einschränkung des Asylrechts gegründet. Im Zuge der Bundesnovelle sah sich Nordelbiens Kirche gedrängt, eine unabhängige Beratung für Schutzsuchende zu schaffen. Die Regierungen bundes- wie europaweit gehen seither „immer restriktiver und härter“ mit Flüchtlingen um, lautet die bittere Bilanz von Fluchtpunkt. Hamburg aber verfolge das Ziel, möglichst viele Menschen fernzuhalten, „mit besonderem Eifer“.
Als jüngstes Beispiel der Behördenwillkür führt Harms den Fall Glanz an, der am Donnerstag eine hitzige Debatte in der Bürgerschaft entfachte. Gegen das Votum des Gnadenausschusses des Parlaments und die Stimmen der CDU-Regierungsfraktion hatte die Ausländerbehörde angekündigt, die in Hamburg geborene Schülerin Rhoda (10) und ihre Mutter nach Ghana abzuschieben. Erst nachdem die Opposition den Abgeordneten der CDU in der öffentlichen Debatte vorwarf, dass sie kaum noch Einfluss auf ihren eigenen Senat hätten, lenkte dieser gestern ein und verlängerte die Duldung der Familie bis Januar.
Der Fall zeige einmal mehr, kritisiert Harms, „dass das Parlament für die Ausländerbehörde keine Autorität mehr hat“. Dass die Behörde „sich verselbständigt“, habe im vergangenen Jahr schon der Fall der Geschwister Oppong bewiesen. Die Trennung der Schülerinnen ghanaischer Herkunft von ihrer hier lebenden Mutter konnte nur massiver öffentlicher Druck, nicht aber die Intervention von CDU-Parlamentariern verhindern. Weil sie so gut wie unbeaufsichtigt agierten, fühlten sich die Mitarbeiter an der Amsinckstraße „ein wenig wie ,Special Forces‘“, warnen die kirchlichen Helfer, „die es auf ein Kräftemessen mit der Politik anlegen“.
Beim Blick zurück kommen aber auch die Vorgängersenate nicht besser weg. Schon lange weht in Hamburg Flüchtlingen eisiger Wind entgegen: „Auch rote und rot-grüne Senate“, so Harms, „haben Flüchtlinge nie menschlich behandelt.“ Allein eine „gewisse Schamhaftigkeit“ bei dubioser und inhumaner Behördenpraxis habe Rot-Grün ausgezeichnet. So hatte etwa das Bekanntwerden fester Abschiebezielzahlen heftigen Streit in der damaligen Koalition entfacht. Harms: „Seit Schill wird dagegen jede Abschiebung vom Senat öffentlich gefeiert.“
Die wachsende Kaltblütigkeit der Politik hat auch die Arbeit in der Altonaer Eifflerstraße verändert. Während früher die meisten Besucher mit Fragen zum Asylverfahren kamen, treibt sie heute akute Abschiebeangst dorthin. So leben in Hamburg mindestens 13.000 Menschen nur mit der losen Duldung, mit der sie jederzeit aus dem Land verfrachtet werden können. Wegen der Hamburger Spezialität der Kettenduldungen lebt mancher bis zu 20 Jahre in Unsicherheit. Psychische Erkrankungen sind die Folge. „Wir machen hier Suizidprophylaxe“, so Harms.
Zugleich präge das Ringen um Aufenthaltsverfestigungen den Arbeitsalltag, berichten die Berater, die derzeit rund 240 Fälle betreuen. Für rund ein Fünftel der Ratsuchenden sei das erfolgreich. Und das, obwohl die Behörde versuche, die Fälle systematisch unbetreubar zu machen, indem sie Helfer und Anwälte wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht zwinge. Harms moniert: „Sogar für bloße Akteneinsicht müssen wir eine gerichtliche Verfügung erwirken.“
Fluchtpunkt bittet um Spenden: Evangelische Darlehensgenossenschaft Kiel, BLZ 21 06 02 37, Konto 500 91, als Stichwort: 5009.195.01.82100