■ Daumenkino: Merkwürdiges Paarungsverhalten
Vorsicht, hier darf, nein, hier muß gelacht werden! Vorsicht, deutscher Film! Vorsicht, Beziehungskomödie! „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ – merkwürdiger Titel, den man sofort wieder vergißt. Ein alles andere als merkwürdiger Film, den man so schnell nicht vergißt. Allerdings nicht, weil er so gut ist, sondern weil er den Tiefpunkt eines Genres markiert, mit dem in den letzten zehn Jahren die Filmszene hierzulande ohne Unterlaß penetriert wurde.
Die geschlechtsreifen Großstädter, das sind für Regisseur Marc Rothemund und Drehbuchautor Peter Gersina noch immer hemingwaygeschädigte Schriftsteller, verwirrte Deutschlehrerinnen, angehende Architekten, Mediziner und Kunsthistoriker, frustrierte Sekretärinnen und smarte Fitneßstudio-Trainer. Leute mit ansprechenden Berufen, Geld und hübschen Altbauwohnungen, die allesamt ein entscheidendes Problem haben: Entweder sie haben Streß mit ihren Partnern, oder, noch übler, sie haben keinen – Streß und keinen Partner.
Was ja alles nicht so schlimm wäre, würde der nachfolgend in Szene gesetzte Beziehungsreigen nicht so spießig, muffig und verklemmt um die Ecke kommen. Da muß sich ein Schwuler eine Frau suchen, damit er bei einem Tanzabend nur für Paare an seinen Traummann rankommt; da bekommt ein anderer den Rat, sich als junger Vater auszugeben, um attraktiver zu wirken, am besten solle er doch mit Ehering und Kinderwagen auf Brautschau gehen!; da simulieren zwei Teenager einen Orgasmus auf dem Kaufhausklo (immerhin ein Lichtblick in diesem Film: Nina Hagens Tochter Cosma Shiva als Sandra). Und da treffen sich zwei und führen folgenden Dialog: „Eigentlich studiere ich Architektur. Und du?“ „Kunstgeschichte und Erotik ... äh, Esoterik.“ Der Höhepunkt des schlechten Geschmacks ist erreicht, wenn der Schriftsteller in einem roten Ferrari vor den Augen von Il Papa in die Isar stürzt. Ja ja, all das passiert an einem Tag, an dem der Papst zu Gast in München weilt: Wenn das man nicht anzüglich und blasphemisch zugleich ist!
Es ist nicht der Geist von Zeitschriften wie Amica und Allegra, der durch diesen Film weht, nur der der verklemmten 50er und frühen 60er: Kraus, Erhardt, Rühmann und Kulenkampff lassen grüßen. Nur waren die einen Zahn frivoler als die „geschlechtsreifen Großstädter“, die hier durch die Retrohölle Deutschland müssen. Wer nach diesem Film noch an Sex denkt, hat echt ein Problem. Gerrit Bartels
„Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“. Regie: Marc Rothemund. Mit Christoph Waltz, Heio von Stetten u.a., Deutschland 1997, 89 Minuten.
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