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„Dass die Betroffenen nicht geweint haben, ist auch alles“

Die Lufthansa sichert sich den größten Teil der Air-Berlin-Flotte. Beschäftigte, die sie nicht aus rechtlichen Gründen übernehmen muss, übernimmt sie auch nicht. Die Gewerkschaften sprechen von einer „Sauerei“

Von Hanna Voß

Die junge Frau hat es kommen sehen: Als sie am Dienstagmittag die von Air Berlin initiierte Jobmesse in der Konzernkantine verlässt, nimmt sie einen tiefen Zug aus der frisch gedrehten Zigarette und sagt: „Die Lufthansa wird versuchen, so billig wie möglich wegzukommen.“

Am Donnerstagnachmittag steht dann fest, was viele Expert*innen bereits kurz nach der Insolvenzankündigung von Air Berlin Mitte August vermutet hatten: 81 der zuletzt gut 130 Flugzeuge der Air-Berlin-Flotte gehen an den Marktführer Lufthansa über, der seine Stellung damit festigt. Das ist nicht nur kartellrechtlich ein Problem. Für die mehr als 8.000 Arbeitnehmer*innen von Air Berlin bedeutet das Folgendes:

Die 1.459 Beschäftigten des Ferienfliegers Niki und der Regionalfluggesellschaft LG Walter, die beide nicht insolvent, aber Teil des Übernahmepakets sind, werden direkt und fest übernommen. Das geht auch gar nicht anders, wie der Berliner Arbeitsrechtler Martin Sundermann erklärt: „Das sind als solche ­ausgewiesene Teile des Unternehmens, die gesetzlich so in den neuen Betrieb überführt werden müssen.“ Es geht dabei um keine Übernahme, sondern um einen vollumfänglichen Kauf.

Das gilt nach bisherigem Stand dagegen nicht für die restlichen rund 1.500 Crewmitglieder. Sie müssen sich auf die Stellenangebote bei der Lufthansatochter Eurowings bewerben, die bereits seit einigen Wochen ausgeschrieben sind. „Und genau das ist eine Sauerei“, sagt Markus Wahl von der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit. „Die Piloten müssen sich auf ihre eigenen Arbeitsplätze neu bewerben und dürfen dann noch zu wesentlich schlechteren Bedingungen arbeiten.“

Der Grund: Die Air-Berlin-Pilot*innen werden aller Voraussicht nach nicht bei Eurowings Deutschland in Düsseldorf, sondern bei der tarifvertragslosen Eurowings Europe in Österreich unterkommen. Und das auch nur, wenn sie, wie Wahl glaubt, „nicht zu teuer oder aufmüpfig“ sind.

Für diejenigen, die einen neuen Arbeitsvertrag bei Eurowings erhalten, bedeutet das rund 30 Prozent weniger Gehalt. „Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen“, sagt Wahl, „und dass die nicht geweint haben, ist auch alles. Die sind wahnsinnig verzweifelt.“ Die Lufthansa nutze die Situation aus, um möglichst billig nicht nur an Maschinen, sondern auch an Arbeitskräfte heranzukommen. „Das ist absolut verwerflich“, urteilt Wahl.

Diesem Vorwurf schließt sich auch Verdi an. „Solche Entscheidungen treffen jeden Menschen hart, da hängen ja ganze Familien dran“, sagt Martina Sönnichsen vom Bundesvorstand. In keiner Rechnung enthalten sind bislang die Angestellten von Verwaltung und Technik. Sie mussten sich auf Jobmessen – wie der in der Air-Berlin-Kantine – über neue Möglichkeiten informieren.

Das Land Berlin hat angekündigt, seine Verwaltung aufzustocken. Verdi fordert zudem eine Transfergesellschaft für diejenigen, die erst einmal keinen neuen Arbeitsplatz finden. Bislang ohne Erfolg.

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