: Das unglaubliche Millionending
■ Leyendecker-Prozeß: Angeklagter legte umfassendes Geständnis ab / Komplize noch unbekannt
Für die Boulevardpresse ist Andreas Leyendecker der große King vom Kiez: Rauschgift, Zuhälterei, Glücksspiel und dann der Millionencoup mit dem „Heros“-Geldtransporter. In Wahrheit ist der 33jährige eher der Verlierertyp, dem nur durch glückliche Umstände die 1,14 Millionen Mark in die Hände fielen und dem selbst mit der vielen Knete das Glück verließ.
Seit 1983 tummelte sich der Augenoptiker aus Bad Kreuznach auf dem Hamburger Kiez. Jobbte als Kellner im „Chicago“ und soll, so die Anklage, durch kleine Deals mit Koks und gelegentliche Zuhälterei seine finanzielle Lage verbessert haben. Denn die war nicht rosig. 170.000 Mark Spielschulden hatten sich aufgetürmt, angehäuft in Casinos auf der Reeperbahn. „Die Leute standen bei mir vor der Haustür, um die Schulden einzutreiben.“ Selbst seine Verlobte, die Prostituierte Bettina S., mit der er sechs Jahre zusammenlebte, gab ihm den Laufpaß.
Und dann die Chance, aus dem Schlamassel zu kommen. Im „Chicago“ lernte Leyendecker 1990 Frank B. kennen, der bei der Geldtransportfirma „Heros“ arbeitete und Leyendecker dem Unternehmen empfahl. Das Einstellungsgepräch dauerte ganze fünf Minuten. „Es ging alles rasend schnell.“ Dann der erste Tag: „Man drückte mir den Schlüssel vom Panzerwagen in die Hand und sagten: Fahren Sie los.“ Überhaupt sei bei „Heros“ alles chaotisch gewesen. Im ersten Stock zählten Frauen im einem Saal Geld. Im Parterre lagen die Geldsäcke herum. „Die Tür standen offen und die Elektriker gingen rein und raus.“ „Da kam mir die Idee, daß sich die Geldprobleme in den nächsten Tagen lösen würden.“
In der Tat: Ein paar Tage später steuerte Leyendecker mit seinem „Heros“-Transporter den „Penny“-Markt in Wilhelmsburg an. „Mein Kollege stieg aus und sagte: Fahr ein paar Runden um den Block und hol' mich am Notausgang wieder ab.“ Am nächsten Tag nutzte er die Gunst der Stunde: „Ich sollte wieder weiterfahren – hab' ich auch gemacht, hab' aber nicht wieder angehalten.“ 200 Meter weiter entleerte er mit einem – noch immer unbekannten – Komplizen den Geld-transporter, tauchte zunächst in Wilhelmsburg unter und ließ sich in der Nacht über die grüne Grenze nach Frankreich bringen.
In Cannes verfiel er erneut der Spielleidenschaft, verpraßte große Teile der Beute im Casino, bevor er nach Brasilien abtauchte. „Ich lebte wie Gott in Frankreich, aber in Brasilien gab es zum Glück keine Spielcasinos.“ Obwohl er dort seine jetzige Freundin kennenlernte, mit der er zwei Töchter hat, verließ ihn das Glück. Er wurde von einem Herbert M. aus Augsburg an die deutsche Polizei verpfiffen. Am 30. Juni 1992 wurde Leyendecker mit noch 60.000 Dollar in der Tasche in Amtshilfe von der mexikanischen Polizei verhaftet. „40.000 Mark hat sich die Polizei gleich untern Nagel gerissen.“ Daß er sich seinen Pittbull „Champ“ nachschicken ließ, habe nichts mit seiner Festnahme zu tun gehabt.
Trotz des umfassenden Geständnisses will Leyendecker den Namen seines Komplizen nicht preisgeben. „Ich will das Risiko nicht eingehen, daß meiner Schwester oder Mutter etwas zustößt. Sie wissen, ich habe in Kreisen verkehrt – mit den Leuten ist nicht zu spaßen.“
Der Prozeß wird nächste Woche fortgesetzt. Kai von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen