: Das umstrittene Reiseverbot für Flüchtlinge
Die Residenzpflicht von Asylsuchenden ist Flüchtlingsinitiativen seit je ein Dorn im Auge. Eine Sozialwissenschaftlerin hat nun die Auswirkungen untersucht. Auch sie plädiert für die Abschaffung
Wer in Deutschland Asylsuchender oder Geduldeter ist, darf sich nur in einem begrenzten Gebiet bewegen: dem Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde. Residenzpflicht heißt die Regelung. Nur schriftliche Ausnahmen erlauben es den Betroffenen, den Bereich zu verlassen. Beim Verlassen ohne Erlaubnis drohen Geld- und Haftstrafen. Mit „Keine Bewegung! Die Residenzpflichtgesetze für Flüchtlinge – eine Bestandsaufnahme“ hat die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders nun ein Buch vorgelegt, das die Auswirkungen der Residenzpflicht darstellt.
„Anlass war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom November 2007, in dem die Residenzpflicht für vereinbar mit der europäischen Menschenrechtskonvention gehalten wird“, erzählt Selders. Damit habe sich ein Hoffnungsschimmer derer zerschlagen, die schon lange gegen die Residenzpflicht kämpfen. Mit der Veröffentlichung wolle sie nun dazu beitragen, dass eine politische und gesellschaftliche Debatte angestoßen wird.
Ein Jahr hat die Autorin dafür in ganz Deutschland recherchiert. Absurde Beispiele, die die Residenzpflicht zutage bringt, finden sich aber auch ganz in der Nähe, erzählt Selders: Wenn ein Asylsuchender beispielweise in Henningsdorf wohne und von dort mit der S-Bahn nach Berlin fahren will, müsse er zunächst ins 20 Kilometer entfernte Oranienburg, um dort bei der Ausländerbehörde die Erlaubnis zu beantragen, nach Berlin zu fahren. Die Zuständigkeitsbereiche auf Berlin auszudehnen, habe die Landesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Ende vergangenen Jahres ausdrücklich abgelehnt. Schließlich diene die Möglichkeit der Bundesländer, die Bewegungsräume der Flüchtlinge zu vergrößern, nicht dazu, „empfundene Härten im persönlichen Lebensbereich“ zu mildern, zitiert Selders.
Ein weiteres Problem sei die Gewohnheit vieler Ausländerbehörden, für die Erlaubnis, die Grenzen zu überschreiten, eine Gebühr zu erheben. „Indirekter Wegezoll“, schimpft Selders und kritisiert, dass mit der Gebühr die Reisemöglichkeiten eingeschränkt würden, weil den Flüchtlingen weniger Geld für die Fahrkarten bleibt. Die Konsequenz: Oft reisen die Betroffenen ohne Erlaubnis. So lag der Anteil der Verstöße gegen die Residenzpflicht an den ausländerrechtlichen Verstößen in Berlin im Jahr 2007 bei 38 Prozent, in Brandenburg nur bei 7 Prozent – die meisten Flüchtlinge aus Brandenburg werden also in Berlin erwischt.
Selders kommt zu dem Schluss, dass nur die Anschaffung der Residenzpflicht das Problem lösen kann. Und hofft nach dem Scheitern auf dem juristischen Weg auf eine Initiative der Politik. SVENJA BERGT