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„Das sind doch Jugendliche“

■ Tuberkulose, Malaria, HIV: Bevor minderjährige Flüchtlinge ihre Diagnose erfahren, sind sie schon umverteilt, klagen Tropenärzte Von Silke Mertins

Lungentuberkulose, tropische Wurmerkrankungen, Malaria, Hepatitis und sogar HIV: Der Hamburger Tropenmediziner und Internist Manfred Peters hat schon so einige schwere und zum Teil meldepflichtige Krankheiten bei seinen jungen afrikanischen Patienten festgestellt. Doch oft kam es nicht einmal dazu, den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen den Befund überhaupt mitzuteilen: Sie wurden umverteilt und waren für den Arzt nicht mehr erreichbar.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sie, wenn die Untersuchungsergebnisse vorlagen und sie eine Krankheit hatten, die behandelt werden sollte, häufig nicht mehr wiederkamen“, so der erfahrene Tropenarzt. „Wenn ich dann anrief – etwa im betreuten Wohnen – stellte sich heraus, daß sie in den meisten Fällen nicht mehr da waren. Und es war oft sehr schwierig, die Vormünder zu finden.“

Andere Tropenmediziner haben nach Informationen von Peters und der GAL ähnliche Erfahrungen gemacht. „Es fehlt eine Koordinationsstelle, die sich um diese Jugendlichen kümmert“, bemängelt Peters. In der Konsequenz könnte das nicht nur für die kranken minderjährigen Flüchtlinge schmerzhafte und gesundheitsschädliche Folgen haben. „Das Hauptproblem ist ein seuchenhygienisches.“ Wenn einer mit Tuberkulose in einem Container oder Hotelzimmer mit vier bis fünf anderen untergebracht sei, könne es „Kleinraumerkrankungen“ geben. Das Gesundheitsamt, dem Tuberkulose gemeldet werden muß, stelle Nachforschungen an. Jedoch: „Es ist so, daß nicht immer mit Sicherheit feststellbar ist, wo der einzelne abgeblieben ist, weil sie innerhalb Hamburgs hin und her geschoben werden“, so Peters. Und die über 16jährigen auch in andere Bundesländer.

„Schwer nachvollziehbar“, findet Andreas Kuschnereit, Sprecher der Jugendbehörde, die Darstellungen des Mediziners Manfred Peters. Es gebe eine Vereinbarung, nach der „Erstuntersuchungen“ für minderjährige Flüchtlinge in der zentralen Untersuchungsstelle des Gesundheitsamtes in Altona vorgenommen werden. Wenn nötig, würde eine Weiterbehandlung veranlaßt. Außerdem hätten die Jugendlichen Kontakt zu ihren Betreuern. Auch die Gesundheitsbehörde sieht keinen Handlungsbedarf. Bei meldepflichtigen Krankheiten würden die Gesundheitsämter aktiv bis hin zu einer Fahndung nach dem Erkrankten. Alles sei „klar geregelt“, so Sprecherin Tordis Batscheider.

Die GAL stellte dazu höchst alarmiert eine kleine Anfrage an den Senat. Es könne doch nicht angehen, empört sich Anna Bruns, daß Jugendliche herumgeschoben würden, „ohne daß sich jemand verantwortlich um ihre gesundheitliche Versorgung“ kümmere.

„Es sind doch Jugendliche!“ sagt Manfred Peters. „Viele haben schon einiges durchgemacht; Kriegserfahrungen – das schildern sie immer wieder. Und sie haben psychische Probleme und psychosomatische Störungen.“ Man drücke den Jugendlichen auf Anfrage einen Krankenschein in die Hand und überlasse sie ihrem Schicksal. Jemand, der weder Sprache, noch Kultur oder unser Gesundheitssystem kenne und dazu noch Jugendlicher sei: „Wie soll der sich denn zurechtfinden?“

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