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„Das serbische Volk ist auch Opfer“

Durch den Jugoslawien-Bericht sind Zweifel am Nutzen der Sanktionen gegen Serbien aufgetaucht  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — Für den Frieden ist Serbiens Präsident Milosević zu allem bereit — auch zum Rücktritt. So kündigte es der starke Mann Neu- Jugoslawiens zumindest in zwei Fernsehinterviews am Mittwoch abend an. Er habe auch die serbische Führung Bosniens gebeten, den internationalen Flughafen Sarajevos zu öffnen und alle Hilfslieferungen internationaler humanitärer Organisationen durchzulassen. Dieses offizielle Angebot wiederholten gestern die elektronischen Medien Belgrads regelmäßig. Wer Rang und Namen hat, äußerte sich ebenfalls dazu. Die Palette der Politiker, Schriftsteller und Künstler reichte von regimetreuen Persönlichkeiten bis hin zu regimekritischen Oppositonellen. Sie alle beteuerten, Belgrad habe mit dem Krieg in Bosnien nichts zu tun. Die Sanktionen gegen das serbische Volk seien „unverantwortlich“ und wie sich jetzt durch einen verspäteten Bericht des UNO-Generalsekretärs zeige, „ungerechtfertigt“.

Butrus Ghali hatte diesen Bericht erst zwei Tage, nachdem die Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien verhängt waren, dem Weltsicherheitsrat zugänglich gemacht. Es gebe „enorme Probleme“ bei Abzug und Entwaffnung von Einheiten der früheren jugoslawischen Armee, kroatischer Truppenverbände sowie unabhängig operierender serbischer und kroatischer Einheiten in Bosnien-Herzegowina. Auch sei, so Ghali, der — ursprünglich bosnischen Moslems zugeschriebene — blutige Überfall auf eine Kolonne der Bundesarmee in der Nacht vom 27. zum 28.Mai in Wirklichkeit von serbischen Freikorpsleuten verübt worden. Der Granatenbeschuß einer nach Brot anstehenden Menge in Sarajevo in der Nacht vom 28. zum 29.Mai, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden, sei vom örtlichen Kommandeur Mladic entgegen ausdrücklichen Belgrader Anweisungen befohlen worden. Westliche UNO-Diplomaten sagten am Mittwoch, wenn der Bericht vor der Abstimmung bekannt gewesen wäre, dann wären die Sanktionen wohl nicht so glatt durchgegangen. Hingegen vertrat der derzeitige Ratspräsident Paul Noterdaeme (Belgien) die Ansicht, Belgrad sei nach wie vor verantwortlich, und der angebliche Verlust der Kontrolle über die Freischärler könne vorgetäuscht sein. „Wenn eine Regierung den Anspruch erhebt, eine Regierung zu sein, dann muß sie die Kontrolle ausüben, sonst ist sie keine Regierung“, sagte er. Vojislav Kusturica, Vizepräsident von den serbischen 'Demokraten‘, erklärte dagegen gestern, seine Partei könne es nicht hinnehmen, daß die Republik Serbien als Aggressor im Krieg in Bosnien betrachtet werde. Es befänden sich doch reguläre kroatische Kampfverbände in Bosnien und gegen diese „Aggression hat das serbische Volk ein Recht auf Selbstverteidigung“. Worte, die überraschen, hatte doch die kleine Oppositionspartei bisher Milosević als „Kriegstreiber“ tituliert und auf ausschließlich friedliche Mittel gesetzt, um die Nationalitätenkonflikte im ehemaligen Jugoslawien zu lösen.

Auch der General Dusan Pekić meldete sich plötzlich zu Wort. Er verkündete, Milosević habe sich unfähig gezeigt, dem serbischen Volk eine neue Staatlichkeit zu geben. Der geeignetere Mann für die „serbische Sache“ sei eigentlich Dragoljub Micunović, Parteivorsitzender der 'Demokraten‘. Micunović als Präsident und Vuk Drasković, bärtiger Oppositionsführer Serbiens und Vorsitzender der 'Serbischen Erneuerungsbewegung‘, als neuer Regierungschef, das sei die Lösung, so General Pekić.

Pekić ist kein Unbekannter. Er gehört jener Generalitätsclique um den mittlerweile abgesetzten jugoslawischen Verteidigungsminister Veljko Kadijević an, der den „Blitzkrieg“ gegen Slowenien leitete und im letzten Jahr den „gerechten Kampf“ der kroatischen Serben militärisch unterstützte. Beim Offensivkrieg in Ostkroatien und Bosnien führten dann aber militantere Generäle das Kommando, denen jedoch die Kontrolle über die mitkämpfenden Freischärlerverbände entglitt und bis heute in Bosnien nicht zurückerlangen konnten. Auch das steht in dem Bericht des UNO-Generalsekretärs, den gestern die Bevölkerung Belgrads in ihren Zeitungen studieren konnte. Mit Wohlwollen, versteht sich. Schließlich wird Belgrad eingestanden, daß es nur „bedingt für die Kämpfe“ in Bosnien verantwortlich zu machen sei und Zagreb, das „reguläre kroatische Einheiten“ in Bosnien einsetze, eine Mitschuld trage. Die Schlußfolgerung Dragoljub Micunovićs, Balsam für die Ohren serbischer Politiker: Das „serbische Volk“ könne man nicht pauschal als Aggressor anklagen, denn es sei gleichzeitig auch „Opfer im bosnischen Bürgerkrieg“.

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