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Das schaut einen an

■ Bilder, Aquarelle und Zeichnungen von Arnold Schönberg in der Akademie der Künste im Hanseatenweg

Es wird immer Menschen geben, die sich darüber streiten, wer denn nun diese oder jene Kunstrichtung begründet, wer das erste abstrakte Bild gemalt, wer den Expressionismus, den Kubismus, wer den Regenschirm oder die Sicherheitsnadel erfunden hat. Daß das aber letztlich gar nicht von Belang ist, wollen diese Pfennigzähler der Kunstgeschichte zumeist nicht wahrhaben. Was übrigbleibt, zählt der Rest. Und das ist in der Kunst — der Malerei, der Literatur, der Musik — das Artefakt, das Substantielle, die Form, das Feste, das nicht am Versuch Zerschollene. Nicht die eigentliche Erfindung zählt, sondern das Ausloten der im Neuen verborgenen Möglichkeiten, das Abtasten mit dem einem zur Verfügung stehenden Sensorium und Instrumentarium, das Auf-die-Spitze- Treiben des Ausdrucks. Das bleibt — und das zählt auch für die nachfolgenden Generationen als Beleg für die Bereitschaft des Künstlers, sich seinem Gegenstand ganz und gar hinzugeben — auch auf die Gefahr des Scheiterns hin, und auch auf die Gefahr hin, nicht so richtig ernst genommen zu werden.

Gelingt einem Menschen in einer der populären Kunstsparten etwas, ist er eben: Maler, Schriftsteller, Komponist, Dichter, Bildhauer. Fängt der Bildhauer an zu schreiben, der Dichter an zu malen oder der Maler an zu komponieren — dann ist die Kollegen- und Kritikerschar meist verlegen, mitunter auch erbost: Der soll doch bitteschön weiterkomponieren, weiterdichten — »Schuster bleib bei deinen Leisten!« tönt es aus vollem Halse.

Bei dem 1874 geborenen Komponisten Arnold Schönberg haben wir einen solchen Fall vorliegen — das, was man gemeinhin mit »Doppelbegabung« zu bezeichnen pflegt. Aber schon dieser Begriff gehört zur oben genannten Fliegenbeinzählmentalität und benennt eigentlich nur das alte Vorurteil, daß zuallererst Begabung zur Kunst gehöre und nicht Arbeit und die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Man kann es ganz einfach sagen: Wenn Schönberg gemalt hat, war er ganz Maler, wenn er komponiert hat — eben ganz Musiker. Denn das ist doch das einzig zählende Kriterium: ob die aus der Arbeit hervorgegangenen Dinge und Gegenstände — das Kunstwerk als Komposition, als Bild — uns als typische Ausdrucksform eines Künstlers seiner Zeit und seiner Auseinandersetzung mit seiner Welt entgegentreten. Und das ist bei den Bildern und Aquarellen Schönbergs nun gar keine Frage. Das schaut einen an.

Als er 1910 in der Wiener Kunst- und Buchhandlung Hugo Heller zum ersten Male seine Werke ausstellte — 47 Bilder und Aquarelle —, tönte bald das Diktum durch die Wiener Musiker- und Künstlerszene: »Schönbergs Musik und Schönbergs Bilder — da muß einem ja zugleich das Hören und Sehen vergehen.« (Was kann man für ein schöneres Kompliment als Künstler erreichen?)

Man sah diese Malerei Schönbergs, von der manche wußten, als reine Nebenbeschäftigung, als bequeme und entspannungsgerichtete »Sonntagsmalerei« an. Daß er sie ausstellte und sich somit als Maler präsentierte, als solcher gar ernst genommen werden wollte — das ging einigen seiner Freunde irgendwie dann doch zuweit. Und gleich richtete man auch einen anderen Blick (das Ohr) auf sein musikalisches Schaffen.

In der Tat aber ist es für einen unter Ausdruckszwang Leidenden im Zweifelsfalle egal, in welcher Form er umgeht in der entsprechenden Stimmung. Künstler sein heißt sich mit der Welt auseinandersetzen in bezug auf sein eigenes Ich, ist immer ein Wechselspiel von Hinfühlen, Reflexion, Bearbeiten, als Ergebnis steht eine Form. 1910 also die erste Ausstellung, 1911 beendet er seine »Harmonielehre« und die Gurre-Lieder, es ist also eine komprimierte Zeit der Auseinandersetzung mit dem sich ihm aufdrängenden Stoff. Er wird Robert Schumanns Gedanken, daß die Ästhetik der einen Kunst auch die der anderen sei, wobei nur das Material verschieden ist, kennen und ihm in seinem Schaffen durchaus gerecht, zumal wenn er später in einem Interview bekennt: »Malen bedeutet für mich in der Tat dasselbe wie Komponieren.«

Nun muß man keinen Zugang zur Musik Schönbergs haben, um sich seinen Bildern, die in der Hauptsache aus Selbstblick-Porträts bestehen, hinzugeben, in diesen Spiegel der Selbstbezichtigung und -auslotung schauen zu können. Der Schreck, der einen bei der Betrachtung einiger Porträts befallen mag — man sollte ihn aushalten und sich dem, was dieser Maler zu sehen imstande war, stellen. Man kann den stillen Schrei hören, den Ton vibrieren sehen, man kann diese körperliche Anstrengung, das seelische, physische und psychische Belastetsein mit seinen künstlerischen Problemen ablesen an diesen kristallklaren und oft unsentimentalen, ganz der Ausdruckskunst verpflichteten Blick-Porträts.

Denn Porträts im eigentlichen und herkömmlichen Sinne sind das kaum — eher Stillhalteabkommen mit sich selbst, in Farbe und Augenform gebannte Reflexe während einer ernsten Suche, während Stunden der Kontemplation und während einer inneren Schlacht durch Hineinhören, -fühlen und -sehen in die Sinnentiefen der Kunst, der Welt, des Ich.

Es gibt in der Ausstellung auch andere Zeichnungen und Bilder zu sehen: Porträts von Freunden und Bekannten und Bühnenentwürfe. Das kann man, muß man aber nicht gesehen haben, das ist Geschichte, Biographie und nur der Vollständigkeit halber zu sehen — zu Recht. Die Selbstporträts allerdings sind Pflichtprogramm — sie sind ein Muß in diesen schwülen, heißen Frühsommertagen. Sie bringen andere Sphären zum Glühen, auch noch dort, wo ihre Oberfläche aus einem Klecks weißer Ölfarbe besteht. Martin Kieren

Arnold Schönberg. Das bildnerische Werk. Akademie der Künste, Hanseatenweg im Hanseatenviertel, Di.-So. 10-19, Mo. 13-19 Uhr. Bis 28. Juni. Ein schöner und dicker Katalog ist an der Kasse für 45 DM erhältlich.

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