: „Das nennt man postmortalen Exhibitionismus“
■ Markus Rothschild, Dozent am Institut für Rechtsmedizin an der FU Berlin, zu Grenzüberschreitungen
taz: Herr Rothschild, was halten Sie von der Plastination?
Markus Rothschild: Die Plastination ist eine tolle Methode, um Organe, die wir für Lehrzwecke aufbewahren, zu fixieren. Technisch gesehen ist das eine super Geschichte, keine Frage.
Bisher hat man die Körperteile, die in der medizinischen Lehre Verwendung finden, in Formalin gelegt. Worin besteht der Vorteil der Plastination?
Formalin ist ein Alkoholderivat, das im Ruf steht, krebserregend zu sein, wenn man die Dämpfe beharrlich in hoher Konzentration einatmet. Das bedeutet, daß wir die Organe stundenlang wässern müssen, bevor wir sie den Studenten zeigen können. Außerdem wird das Gewebe hart und verliert seine Farbe. Dagegen können Sie mit einer Plastination ein Organ quasi im Ist-Zustand konservieren. Es ist sauber, man kann es ohne Handschuhe anfassen, es ist nicht infektiös. Es ist zwar ein bißchen härter, aber man kann es immerhin noch bewegen. Grundsätzlich hat es viele Vorteile für Dozenten und Studenten.
Und wie beurteilen Sie die Körper, die in der Berliner Ausstellung zu sehen sind?
Das ist etwas anderes, weil es in keiner Weise systematisch ist. Nehmen Sie zum Beispiel den sogenannten „Läufer“, den Mann, dessen Muskeln wie vom Wind bewegt herunterhängen: Was jeden, der Muskulatur lernen will, interessieren muß, ist, von wo nach wo ein Muskel verläuft. Nur dann kann man sich überlegen, was für eine Bewegung der ausüben wird. Den Muskel, wie es hier geschehen ist, an einem Ansatz abzuschneiden und ihn, wenn man so will, in wegwehender Flugrichtung zu fixieren bringt nichts. Das ist wissenschaftlich und lehrtechnisch Unfug.
Wie war Ihre Reaktion, als Sie die Ausstellung gesehen haben?
Als ich hingegangen bin, wußte ich nicht, daß die da stehen. Und ich war, obwohl ich als Rechtsmediziner einiges gewöhnt bin, beim ersten Anblick schon ein bißchen entsetzt. Ich meine, hier ist eine Grenze überschritten.
Gibt es Möglichkeiten, den Urheber dieser Plastinationen gerichtlich zu belangen?
Wenn jemand eine Verfügungserklärung unterschreibt und sagt, nach meinem Tod darf man meinen Körper für was weiß ich für Zwecke nehmen, dann ist das erst mal juristisch gedeckt. Es sei denn – und das betrifft ja auch die Körperverletzung bei Lebenden –, der Eingriff verstößt gegen die guten Sitten, wie es in den einschlägigen Gesetzestexten heißt.
Sind Ihnen vergleichbare Fälle bekannt?
Abgesehen von der Ausstellung in Mannheim, nein. Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe von pathologischen Sammlungen. Die sind aber aus gutem Grund nur sehr eingeschränkt der Öffentlichkeit zugänglich. Wer dort reingeht, weiß, was ihn erwartet. Es ist auch klar, daß Kinder nicht zugelassen sind und Jugendliche nur in Begleitung von Erwachsenen. Während das hier wie eine normale Ausstellung daherkommt, mit einem unverfänglichen, interessanten Titel.
Es wird oft gesagt, in unserer Gesellschaft würde der Tod tabuisiert, das dürfe nicht sein...
Es gibt unbestreitbar viele Probleme im Umgang mit dem Tod. Der tote menschliche Körper ist ja an sich nichts Schreckliches, er ist ja auch nicht eklig, er riecht nur irgendwann unangenehm. Andererseits glaube ich schon, daß der Tod und alles, was danach kommt, mit Respekt behandelt werden muß. Das ist nicht der Fall, wenn tote Körper, wie hier geschehen, ins Lächerliche gezogen werden.
Und wenn das die Spender nicht anders gewollt haben?
Es ist schon ein Unterschied, ob sich jemand für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung stellt oder mit der Aussicht darauf, auf lange Zeit öffentlich ausgestellt zu werden. Das wäre dann etwas, das man vielleicht postmortalen Exhibitionismus nennen könnte. Im Juristischen könnte man „niedere Beweggründe“ dazu sagen. Auf jeden Fall erscheint es mir wie die zweifelhafte Befriedigung einer fehlgeleiteten Phantasie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen