: Das ist ihr Weben
■ Der Stoff, aus dem die Vergangenheit besteht: In ihrem Film Rebecca webt betreibt die junge, Hamburger Regisseurin Anne Geils kunsthandwerkliche Ahnenforschung mit Nahaufnahmen
Textilhandwerk wie Stricken, Spinnen, Spitzenklöppeln betreiben wohlhabende Europäer in der Regel als kreativen Zeitvertreib oder als beruhigendes Sich-Verlieren. Nimmt man die Handarbeitsvorgänge aber mit einer Kamera aus nächster Nähe auf, entsteht ein anderer Eindruck: Hektisches Umherschwirren und Aufeinanderschlagen von Nadeln, Spulen, Klöppel, geradezu aggressiv wirkt das lautstarke Betreiben eines großen Webstuhls.
Aus zahlreichen Perspektiven registriert der Film Rebecca webt den ratternden Trittwebstuhl der Rebecca Thalmann, Großmutter der 38jährigen Filmerin Anne Geils. Schon Rebecca erbte das Gerät von ihrer Großmutter, und so wie der Webstuhl sich durch das Leben der Generationen von Thalmanns und Geils arbeitete, zeigt der Film anhand unterschiedlicher Weberinnen und Spinnerinnen den Wechsel der Zeiten im kleinen niedersächsischen Wechold: Das ist ihr Weben.
Im Mittelpunkt der Handlung webt Rebecca. Schon als behütete Bauerstochter produziert sie viel mehr Tücher, als für die Aussteuer nötig wären. Auch als sie in Stellung geht und später, nach der Heirat, nimmt sie ihren Webstuhl mit und verbringt jede freie Minute mit ihm. Es ist wohl die einzige Möglichkeit, sich auszudrücken, denn die Menschen in ihrer Umgebung reden nicht miteinander, kein Wort.
In Form einer Nacherzählung gibt Anne Geils – Germanistin, Theaterwissenschaftlerin, Lehrerin und Studentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg – die Jugend ihrer Großmutter wieder. Dabei nutzt sie Originalschauplätze in ihrem heutigen Zustand als Kulissen, stört sich weder an Elektrozäunen noch an Autogeräuschen, wenn es um Handlungen zu Beginn des Jahrhunderts geht. Neben den mechanischen Abläufen am Webstuhl dominieren Standbilder, die Familienfotos nachempfunden sind, und Nachstellungen ländlicher Malerei-Motive, wie die Kartoffelsaat. Unterbrochen wird die Erzählung durch Szenen aus dem jetzigen Wechold, wo ein Dorffest stattfindet oder ein Mann sich das Weben erklären läßt. Einmal gibt es deutliche Brüche, an anderer Stelle werden Jetzt und Damals verwoben.
Anne Geils arbeitet mit Laiendarstellern, die teilweise ihre direkten Vorfahren spielen. Die gelegentliche Unbeholfenheit gehört zum Konzept, besonders wenn die Schauspieler bei langen Standbildern – ungeschminkt und lautlos vor sich hin starrend – dümmlich wirken. Und manchmal hat man das Gefühl, da sei jemand richtig stolz, in einem Film zu erscheinen. Dazu erzählt Rebecca in monotonen Tönen ihre kleinen und großen Gedanken – auch die sprachliche Ungeschultheit scheint von der Regie bewußt eingesetzt zu sein. So gibt sich Rebecca webt als bescheidener, kurzer und stiller Kunsthandwerks-Film, für den das Metropolis-Kino mit den Ostertagen einen passenden Vorführungstermin gefunden hat.
Nele-Marie Brüdgam Premiere mit Gästen am 8. April, 21.15 Uhr, Metropolis
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