: Das ist Wirklichkeit
Eigengesetzmäßig erreicht der VfL Wolfsburg durch ein 1:0 beim 1. FC Köln das Pokalfinale ■ Aus Köln Christian Mitterhauser
Das Spiel war aus. Und während in der anderen Ecke des Müngersdorfer Stadions die Fans des VfL Wolfsburg gerade begannen, ihr Glück zu fassen, saß Henrik Andersen auf einem Flecken feuchten Rasens, war völlig niedergeschlagen und fixierte stur irgendeinen leeren Punkt in der verschwommenen Weite der Arena. Daß er dabei nicht zuallererst an die ihm durch die Lappen gegangenen 20.000 Mark Siegprämie dachte, das wollen wir mal unterstellen.
Jedenfalls, wie er da so elendig herumsaß, kam sein ehemaliger FC-Mannschaftskollege und dänischer Landsmann Jann Jensen vorbei. Der hatte gerade im Wolfsburger Trikot mit der Nummer 5 eine sehr gute Partie als Manndecker gegen Bruno Labbadia abgeliefert. Jensen hockte sich neben Andersen und sagte in den folgenden zwei Minuten drei, vier leise Worte. Dann nickte der jetzige Wolfsburger noch mal kurz verständnisvoll, und es folgte ein mitleidiger Klaps auf die Schulter des Kölners. Jensen drehte sich ab und lief drei Schritte, um seinem Trainer Gerd Roggensack jubelnd in die Arme zu fliegen. Das ist der Pokal. Das ist die Wirklichkeit.
Nachher hatte Andersen seine Sprache wiedergefunden und brachte die Katastrophe auf den einzig richtigen Punkt: „Wir sind einfach zu dumm.“ Sein Mannschaftskollege Bruno Labbadia hingegen „sterilisierte“ zum wiederholten Male öffentlich logischen Unsinn: „Ich will jetzt erst mal nichts sagen... Ich möchte das mit mir selber ausmachen.“ Und Toni Polster, sonst nie um ein nettes Worte nach Spielende verlegen, fühlte sich einfach nur „schlecht“. Und dazu hatte nicht nur er allein allen Grund. Denn hilflos und völlig uninspiriert hatten jene Menschen, denen an diesem Abend die an sich ja durchaus ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden war, das Trikot des 1. FC Köln zum zwölften Mal in ein Pokalfinale zu tragen, in allen Belangen versagt.
Der VfL Wolfsburg spielte eine Stunde lang grausamen, aber gekonnten Underdog-Fußball: totale Defensive mit gelegentlichen Konteransätzen, wobei einer dieser Versuche sein Ziel ins Kölner Tor fand. Sie hatten mit Uwe Zimmermann einen fehlerlosen Torwart, mit Pele Wollitz einen umsichtigen Mittelfeldspieler und mit Holger Ballwanz ein unbequemes, dauerrennendes Nutztier. Der Rest der Grüngekleideten bewegte sich vorschriftsmäßig und machte keine spielentscheidenden Fehler.
Natürlich könnte man jetzt die schöne alte (und natürlich auch „wahre“) Idee von der Eigengesetzlichkeit des Pokals in die Runde werfen. Viele werden nach diesem Spiel auch wieder davon reden, daß es doch gerade solche Ergebnisse sind, die dem Fußball die Faszination erhalten. Und nicht zuletzt haben sie sich in Leverkusen, Gladbach und wahrscheinlich auch noch in Düsseldorf die Bäuche vor Lachen gehalten und mehrere Runden auf den Torschützen Sigi Reich getrunken. Okay, oder besser gesagt: gar nicht okay. Okay ist der David-Sieg nur bis zum Halbfinale.
Denn, mal ehrlich, wie waren denn diese Pokalfinals mit den Stuttgarter Kickers, den unglaublich tollen Hertha-Amateuren, Hannover 96 und wer sich da noch so alles durchgeschummelt hat? War es nicht eher so, daß man gelangweilt mit Freunden vor dem Fernseher das Endspiel pflichtgemäß abnahm, eigentlich viel bessere Dinge hätte tun können und sich am Ende einfach nur maßlos geärgert hat? Und wenn es dann endlich doch mal spaßig wurde, wie zum Beispiel beim Cup-Sieg von Hannover 96, dann hielt das auch wirklich nur bis zur ersten Europapokal-Runde der nächsten Saison an. Also sollte sich der DFB zukünftig ernsthaft überlegen, ob er nicht eine Zweitliga-Amateur- Provinzklub-Ausschlußklausel für das Finale einführt. Oder vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken, Fan des VfL Wolfsburg zu werden.
VfL Wolfsburg: Zimmermann - Lieberam - Jensen, Probst - Seeliger, Wollitz, Frackiewicz, Ballwanz, Dammeier - Meißner (82. Täuber), Reich (89. Deffke)
Zuschauer: 36.000
Tor: 0:1 Reich (19.)
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