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„Das hatten wir noch nicht“

■ Eine deutsch–deutsche Premiere: Das ZDF sendete ein politisches Magazin live aus Ost–Berlin / Statt reger Publikumsbeteiligung herrschte jedoch Langeweile

Berlin–Ost (taz) - „Versteh ick nich, Veranstaltungen sind doch sonst nur am Wochenende!“ Am Mittwoch abend um acht ahnen viele der zufällig Vorbeikommenden am Ost–Berliner „Palast der Republik“ noch nicht, daß hier im riesigen Foyer unter grellen Scheinwerfern gerade für eine deutsch–deutsch Medienpremiere geprobt wird. Aber zwei Stunden später weiß selbst die Klo–Frau: „Die machen da Kennzeichen D - und sogar direkt. Dat hatten wir noch nicht.“ Zum ersten Mal in der Geschichte (ein Staatsbesuch machts möglich) sendet das ZDF ein politisches Magazin live aus der DDR. Wo - im Wettkampf der (Fernseh–)Systeme - die ARD am selben Abend kreuz und quer zwischen BRD und DDR hin– und herschaltet, haben die ZDF–Leute ihre Sendung an einen, wenn auch streng geheim gehaltenen, öffentlichen Platz verlegt. Gut eine Stunde vor Sendebeginn hat sich dieser Ort jedoch längst herumgesprochen, und rund 500 Leute haben sich hinter dem Band mit den Besucher–Tischen und Kameras versammelt. Die erste deutsch–deutsche Live–Sendung ist in Ost–Berlin zu einem gesellschaftlichen Ereignis geworden - aber zu einem langweiligen. Als die Übertragung kurz vor 23 Uhr losgehen soll, ist das vernehmliche „Pssst!“ der Sendemacher längst überflüssig. Seit einer Stunde unterhält man sich im Palast der Republik ohnehin nur noch flüsternd, und das nicht nur wegen der kleinen Grüppchen der unauffälligen Herren von der „Sicherheit“, die überall herumlungern, sondern weil man nicht so recht weiß, wie man sich bei so etwas benimmt. Er habe sogar einen Stuhl an den Tischen ergattert, und er dürfe, jawohl!, auch was sagen in der Sendung, hatte zuvor einer der Umstehenden aufgeregt der Klo–Frau berichtet. Aber das wollte die gute Frau denn nun doch nicht glauben. Von den Zuschauern, die in die Sendung einbezogen werden sollten, kommen nur zwei bei einer verzweifelten Athmosphäre–Suche des ZDF–Moderators kurz zu Wort. Die anderen Umstehenden und auch die schon stundenlang an den Tischen plazierten geladenen Gäste können sich nicht einmischen und nützen auch die Gelegenheit dazu nicht. Die meisten können bei der schlechten Akustik nicht einmal verstehn, was dort vor der Kamera beredet wird, und hätten zu Hause vor dem Bildschirm mehr davon gehabt. Dennoch bleiben alle - auf irgendein Ereignis wartend - bis zum Schluß. „Eine Frage hätte ich gern gestellt, wo die alte Sau doch gerade drüben ist“, raunt ein Jugendlicher bedeutungsvoll seinem Nachbarn zu, „nur die eine.“ „Ach stell lieber die andere“, meint der nur lakonisch, denn zu fragen traut sich ja doch keiner. Und eh man sich versieht, sind die 40 Minuten Sendezeit auch schon vorbei, und der Rockband City wird mitten im Song der Saft abgedreht. Das deutsch–deutsche Medienexperiment ist vorbei. Wichtig bleibt einzig, daß es stattgefunden hat. Jenny Marx

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