: Das gute alte Trichtergrammophon
Beim „Recording Angels“-Projekt wird die Staatsbank zum historischen Tonstudio. Gut auch für digital trainierte Ohren
Das ist so eine Schokoladengeschichte, wie die Tonaufzeichnung in die Welt kam. Vorweihnachtlich, zuckersüß. Der 6. Dezember 1877 war’s, als Thomas Alva Edison „Mary had a little lamb“ in einen Apparat sang. Der Phonograph. Eine mit Stanniolpapier umwickelte Metallwalze, mit der man die konservierte Schallaufzeichnung auch wieder hören konnte. Gleichzeitig war das natürlich die Erfindung von Lo-Fi, mit dem Knistern, Knacken und Rauschen, das auch bei späteren Speichermedien wie Schellack nie wirklich fehlte. Bis man so lange am Sound polierte, Rauschunterdrückungssysteme ausgetüftelt hatte, dass der konservierte Klang von allen Verunreinigungen befreit war. Eigentlich. Denn schon schummelten sich die Knistersounds wieder als musikalisches Material auf die Tonträger. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass mit Noise als einem Stilprinzip des digitalen Zeitalters ein Ring geschlossen wäre, der zu den Pioniertagen der Tonaufnahmen zurückführt. Aber anders hören kann man die alten Sachen so doch. Wieder neu hören. Was beim „Recording Angels“-Projekt von Aleks Kolkowski mit dem Ensemble Spok heute in der Staatsbank möglich ist. Ein Konzert, eine Installation. Die Rekonstruktion einer historischen Aufnahmesession noch dazu. Im ersten Teil des Abends werden sozusagen die Grundlagen vorgestellt (weil heute ja kaum mehr einer ein Trichtergrammophon im Wohnzimmer stehen hat): Vier Musiker werden in vier Räumen mit Instrument und je einem Grammophon oder einem Phonographen kurze Musikszenen aufführen. Die kontinuierlich wiederholt, also geloopt werden. Imposanter noch der zweite Schritt, wenn mit dem kompletten Ensemble eine historische Aufnahmesituation auf Wachswalzen rekonstruiert wird. Ein gewaltiger Aufnahmetrichter dient dabei als „Mikrofon“. Alles live. Overdubs gibt es hier einfach nicht.
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