: Das große "I" auf dem Rückzug-betr.: "Ein Entwurf wird perfektioniert" von Mathias Geis, taz vom 17.6.91
betr.: „Ein Entwurf wird perfektioniert“ von Mathias Geis,
taz vom 17.6.91
Seit Monaten beobachte ich — zunehmend ärglicher werdend —, wie immer mehr Artikel in der taz zum männlichen Stellvertretungsanspruch in der Sprache nach dem Motto Mensch=Mann/man zurückkehren und das Femininum aus der Sprache verdrängen.
Ich finde es enttäuschend und empörend, daß eine Zeitung wie die taz, die beansprucht, der „herr“schenden Berichterstattung und Meinungsmache Alternatives entgegenzusetzen und sich für so aufgeklärt hält, auf eine eigene Frauenseite verzichten zu können, immer mehr zur Herrengazette wird und die Frauen zum Verschwinden bringt.
Mathias Geis hat in dieser Hinsicht den Vogel abgeschossen. Während das Interview anläßlich des Verfassungskongresses auf Seite 3 unten der taz mit Tatjana Böhm unter der Überschrift steht: „„Die Ausgrenzung von Frauen beenden“, findet in seinem Artikel auf derselben Seite darüber eben dasselbe statt. Seine Berichterstattung kennt nur „Verfassungsrechtler, Politiker, Gewerkschafter, Kirchenvertreter, Umweltschützer und Bürgerbewegte. Daß dann vier Frauen auf dem Podium saßen, läßt ihn ob dieser Formulierungen nicht stutzig werden.
In der Sprache ignoriert er die Frauen, ja sein Artikel erwähnt an keiner Stelle den großen Anteil der Frauen an der Verfassungsdebatte, der sich unter anderem in der Erweiterung aller männlich formulierten Begriffe im Verfassungsentwurf auf beide Geschlechter äußert. Für Frauen wäre es nun wahrlich revolutionär, ihre Rechte in einer gültigen Verfassung verankert zu sehen!
All dies erwähnt Geis an keiner Stelle. Statt dessen zitiert er zeilenlang die Veränderungen im Verfassungsentwurf, die Herr Preuß zu den „zentralen“ erklärt. Die Geschlechterfrage gehört für ihn antürlich nicht dazu! Verfassungsrechtler klammern Frauen aus der „gesellschaftlichen Selbstwahrnehmung“, um die es hier geht, offensichtlich aus, und Geis folgt ihnen.
An dieser einseitig männlichen Sicht im Artikel ändert auch das Interview auf der Seite mit Tatjana Böhm nichts. So ist dieser Artikel eines der vielen Beispiele dafür, daß Frauen und ihre Aktivitäten, Ideen und Forderungen in dem Bericht eines Journalisten unsichtbar gemacht werden.
Schlimm finde ich auch, daß die taz in ihrer Dokumentation des Verfassungsentwurfs (taz vom 15./17.6.) hinter den geschlechtsneutralen beziehungsweise beide Geschlechter benennenden Text des Verfassungsentwurfs zurückfällt. In der Gegenüberstellung von Grundgesetz und Novelle kennt die taz nur noch Bürger! Bürgerin Drell, Moers
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