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„Das große Fragezeichen fällt weg“

■ Der Verbleib in der Regierung wird den Grünen auch in der eigenen Klientel nicht als „Umfallen“ angelastet, meint Politikprofessor Peter Lösche

taz: Der Parteitag der Bündnisgrünen in NRW entschied, in der Regierung zu bleiben. Sind die Grünen umgefallen?

Peter Lösche: Von der Sache her haben die Grünen natürlich ein Problem. Kurz vor Weihnachten haben sie noch vollmundig erklärt, der Rahmenbetriebsplan für Garzweiler sei rechtswidrig, von der SPD politisch durchgesetzt worden. Nun versuchen sie es in der Sache auf einem anderen Weg, über das Wasserrecht, wo eine grüne Ministerin zuständig ist.

Herr Westerwelle und die FDP freuen sich schon, weil sie den Makel der „Umfallerpartei“ nun an die Grünen abtreten können.

Ich glaube, daß Westerwelle eine Projektion vornimmt – von der Geschichte seiner Partei auf die der Grünen. Das Etikett Umfallerpartei haben die Liberalen seit ihrem größten Wahlsieg 1961: Damals verkündeten sie, mit Adenauer in keine Koalition mehr zu gehen. Nach dem Wahltag haben sie es trotzdem getan. Die FDP ist aber eine reine Funktionspartei: Mehrheitsbeschafferin oder Korrektiv innerhalb einer Regierung. Die Grünen sind das nicht. Sie gelten als eine inhaltliche, eine ökologisch orientierte Partei. Inzwischen sind die Grünen in vielen Politikbereichen hoch kompetent.

Ihre Analyse ist das eine, die Wahrnehmung der Öffentlichkeit das andere. Haftet nicht den Grünen gerade umweltpolitisch der schlechte Geruch an, in der Regierung häufig Kompromisse zu schließen – kurz: umzufallen?

Das ist doch völlig normal. In dem Moment, in dem die Grünen nicht mehr nur Bewegung waren, sondern als Partei in Regierungen gingen, bedeutete das, daß sie Kompromisse schließen mußten.

Ein Scheitern von Rot-Grün im bevölkerungsreichsten Bundesland hätte sich auf den Bund ausgewirkt. Wie wirkt sich die Verbleibsentscheidung jetzt aus? Rot-Grün wird als mögliche Koalition bleiben. Das große Fragezeichen fällt weg. Die innerparteiliche Auseinandersetzung hat die Presse im übrigen sehr stark als Rechts-Links-, als Fundi-Realo- Streit interpretiert. In Wirklichkeit geht es hier um einen Konflikt zwischen denen, die die Partei in Parlament und Regierung vertreten, und Teilen der Partei selbst.

Aber der Streit ist doch heftig. Was bedeuten diese Spannungen?

Ich glaube, daß die Auswirkungen auf die Wähler nicht so stark sein werden. Bei anderen Parteien schreckt so etwas ab. Die besondere Wählerklientel der Grünen – gut ausgebildete, ziemlich gut verdienende Leute mittleren Alters, die aus der konflitktgeübten Tradition der 68er kommen – sieht das eher als Zeichen von Lebendigkeit.

Hat sich die Zusammensetzung der Grünen durch Regierungsbeteiligungen verändert?

Andere Konflikte spielten da eine größere Rolle – etwa der Auszug der Fundis um Jutta Ditfurth im Mai 1991. Die Veränderungen heute vollziehen sich eher in den Fraktionen: Die sind pragmatischer geworden und müssen Kompromisse schließen. Interview: Christian Füller

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