: Das große Aufräumen im ehemaligen ZK-Gebäude
■ Das ehemalige Machtzentrum der SED in Ost-Berlin wird zum Haus der Abgeordneten umgerüstet / Das Haus soll „parlamentarisiert“ werden
Hans-Peter Klausnitzer hat starke Nerven. Jovial fischt er herumirrende Besucher im Labyrinth der Korridore auf und nimmt sich die Zeit, ihnen den Weg zum gewünschten Ausgang zu erklären. Ein wenig stolz ist er auch auf seine Ortskenntnisse. Schließlich ist es kaum zehn Tage her, daß er selber zum ersten Mal seinen neuen Arbeitsplatz betrat.
Am 1. April war der ehemalige Sitz des Zentralkomitees der SED am Ostberliner Marx-Engels-Platz offiziell an die Volkskammer übergegangen. Am 2. April erhielt der Verwaltungsangestellte Klausnitzer den Auftrag, das Gebäude in ein „Haus der Parlamentarier“ umzuwandeln.
Inzwischen haben alle Volkskammerfraktionen eine Grundausstattung an Räumen: Ein großes Empfangszimmer pro Fraktion, ein geräumiges Büro für den Vorsitzenden und, je nach Stärke der Fraktion aufgeschlüsselt, mehrere kleine Arbeitszimmer.
Tag und Nacht arbeitete Klausnitzer, zusammen mit einem Dutzend verbliebener Hilfskräfte der alten Verwaltung, um den Parlamentariern rechtzeitig zur ersten Volkskammertagung die grundlegendsten Arbeitsbedingungen zu sichern. Bevor die Abgeordneten einzogen, sorgte er dafür, daß kein Plakat, keine herumliegende Broschüre mehr an die alten Hausherren erinnert. Selbst die Telefone kappte er, trotz der damit verbundenen realsozialistischen Schwierigkeiten, und ließ neue Nummern legen.
Und doch ist das Geleistete nur ein kleiner Bruchteil der anstehenden Sisyphusarbeit: Bisher beschränkt sich noch alles auf das 4. Geschoß des sechsstöckigen Hauses und auf ein Abgeordnetenrestaurant in der obersten Etage. Das Erdgeschoß, das hier 1. Geschoß heißt und den alten ZK -Plenumssaal und mehrere weitere Säle und Seitenfoyers beherbergt, wird für Fraktionssitzungen und Koalitionsverhandlungen bereits teilweise genutzt. Im 2. Geschoß (sprich 1. Stock) sitzt noch der Parteivorstand der PDS, im 3. wird gerade renoviert, im 5. sitzen auch noch rund 300 PDSler, und im 6. ist bisher nur die Kantine erforscht.
Wieviele Räume es in dem trapezförmigen Gebäude mit einseitigem Bogen und vier Innenhöfen insgesamt gibt, weiß Klausnitzer auch noch nicht. Schätzungen belaufen sich auf 800 Zimmer.
Bis zum Sommer will Klausnitzer alles im Griff haben. Die PDS soll demnächst endgültig das Feld räumen und in ihr „Karl-Liebknecht-Haus“ umziehen, ihre Vorstandsetage ist bereits der Volkskammerpräsidentin mit Stellvertretern und Stab zugedacht. Dann soll alles renoviert und bunter, übersichtlicher und benutzerfreundlicher gestaltet werden. Bis die Parlamentarier aus der Sommerpause zurückkehren, soll jeder Abgeordnete ein eigenes Arbeitszimmer haben.
Bei allem, was hier erneuert wird, ist noch eines unklar: Wer soll das alles bezahlen? Es gibt keinen festen Etat, aus dem die Kosten beglichen werden. Der Hausmeister hofft, daß die Volkskammer die geleisteten Dienste zu schätzen weiß und das Budget nachträglich bewilligt. Zumal die Abgeordneten sich durchaus nicht mit dem Gegebenen bescheiden, sondern seine Amtsstube mit Forderungen nach weiteren Schreibmaschinen, mehr Telefonen und vereinzelt schon nach Telefaxanschlüssen stürmen.
Gerecht will Klausnitzer sein und den Einrichtungssegen überparteilich verteilen. Das fällt ihm nicht leicht, angesichts der Unterschiede, die die Parteien in ihrer Kooperationsbereitschaft an den Tag legen. Auch ist er schon einmal böse ins Fettnäpfchen getreten, als er den vorbereiteten Mappen mit Wegweisern, Tips und nützlichen Hinweisen zur Orientierung für die frisch angetretenen Abgeordneten noch einen Kalender beilegte. In der Hektik hatten er und seine beiden Kollegen von der „Abteilung für Abgeordnetenangelegenheiten“ nämlich übersehen, daß der im letzten Sommer gedruckte Kalender noch Honeckers Geburtstag verzeichnete. Es sei entsetzlich peinlich gewesen, erzählt Klausnitzer, aber gewiß nicht als Provokation gemeint, wie einige Abgeordnete unterstellt hätten.
afp/Susanne Güsten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen