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Das glauben Sie nicht!

■ Ingeborg Kiehn, ehemals Nummerngirl im „Astoria“, über ihr Nachtleben inmitten von roten Nelken, spanischen Sängern und verliebten Prinzen

Von 1953 bis 1955 trat sie jeden Abend als Nummerngirl im „Astoria“ auf, und es war, wie sie sagt, ein „herrliches Leben“. Die taz besuchte sie in ihrer Bremer Wohnung, und es wurde ein denwürdiges Stündchen.

War das Ihr Traumberuf?

Überhaupt nicht. Ich war damals ja nur aufs Ballett aus. Schon als ganz kleines Kind wollte ich nichts anderes und hab meine Mutter gelöchert, und selbst zu Weihnachten konnte sie mir anbieten, was sie wollte, Dauerwellen und alles, es stand immer nur „Ballett!“ auf meinem Zettel. Na gut, mit neun kam ich auf die Ballettschule.

Wie sind Sie dann doch noch beim „Astoria“ gelandet?

Aus reinem Zufall. Dort sollte gerade die erste Mißwahl in Bremen über die Bühne gehen, es meldeten sich aber keine Mädchen. Da kam Emil Fritz, der Chef, in seiner Not zu uns an die Ballettschule, ja und ich, keine Frage, ich war sofort dabei. Nur leider kamen sie mir bald drauf, daß ich erst siebzehn war, das disqualifizierte mich für die Abendvorstellungen wegen Jugendschutz. Wir haben's dann so geregelt, daß meine Mutter mich jeden Abend abholte. Dann ging das.

Nicht schlecht für eine Mutter.

Das kann man sagen. Jeden Abend war sie da. Und dabei wohnten wir damals in Hemelingen.

Kein Gedanke mehr ans Ballett?

Aber ja doch! Heute noch! Aber ich fand auch mein Leben als Nummerngirl ganz herrlich.

Wie verlief Ihr Normalarbeitstag?

Zwei Vorstellungen täglich, vorher Garderobe, und wenn dann meine Musik kam, bin ich gelaufen.

Gelaufen?

Ja, mit dem Schild in der Hand, wo die nächste Varieténummer drauf angezeigt war. Und dann immer hinter der Bühne auf den nächsten Auftritt gewartet und herumgeblödelt. Grad das fand ich wundervoll, dieses Leben hinter der Bühne.

Wahrscheinlich hat man Ihnen auch tüchtig gehuldigt.

O ja. Ich habe jeden Tag zu jeder Vorstellung mindestens einen Nelkenstrauß bekommen, Nelken waren damals üblich, und diese Nelken haben mich tatsächlich verfolgt. Ich kann sie bis heute nicht leiden. Jeden Tag! Dann natürlich sehr viele Pralinen. Das war nun wirklich vollkommen daneben, aber meine Mutter und meine Oma haben sich gefreut.

Und wie stand's mit der Post?

Naja, da waren schon sehr viele Heiratsanträge dabei. Einen ganz dicken Packen Briefe hab ich hier noch von einem echten Prinzen!

Von einem Prinzen? Sagen Sie den Namen!

Gott, das geht nicht, der lebt noch. Ein anderer Mann war auch noch besonders hartnäckig, ein Kondomfabrikant, der verfolgte mich sogar noch in meine Zeit als Mannequin hinein. Der ist mir auf jede Modenschau nachgereist.

Hatten Sie Kontakt zu anderen Nummerngirls anderswo? Gab es sowas wie ein Innungsbewußtsein?

Nein. Wir kamen ja auch kaum raus. Kaum ein Gedanke an freie Tage. Das brauchte man auch gar nicht. Es hat ja einen solchen Spaß gemacht, immer und immer war da was los, das glauben Sie nicht. Nein, da war's eher hinderlich, wenn man frei hatte. Da prallten so gnadenlos die Dinge aufeinander in diesem engen Raum hinter der Bühne, die Tiernummern, die Komiker, die Artisten, die richtig schwitzen mußten, die absoluten Ästheten im weißen Anzug. Dann jede Menge Liebe, Tod und Eifersucht! Man verliebte sich nun mal schneller als anderswo, und genauso hat's dann gekracht.

Hat es Sie auch mal erwischt?

Gott ja. Es war ein spanischer Sänger. Der einzige Mann, der mich auch heute noch aus dem Sessel hauen würde. Meine Güte! Er konnte so schmeicheln mit seinem Gesang. Es war nachher so weit, daß ich in seine Vorstellungen ging, mit meiner Mutter dabei, damit's nicht so auffiel, und dann stand er da auf der Bühne und sang nur zu mir herauf, und alle merkten es, nur ich dachte, wir könnten das geheim halten.

Wo ist er jetzt, der Spanier?

Ich weiß es nicht. Es ging nicht lange gut mit uns. Er war ein eifersüchtiger Mensch, und mich andererseits kannte alle Welt. Da drohte er eines Tages, er würde mich töten, wenn ich einen andern anrührte. Das hat nun meine Mutter so sehr beunruhigt, daß ich mich am Ende von ihm trennen mußte. Ich hab ihn nie wiedergesehen.

Wissen Sie auch noch was Lustigeres?

Ach, da gab's zum Beispiel die Geschichte von dem Bürstenhändler aus Ostfriesland, der eine Million im Lotto gewonnen hatte. Der tauchte dann auch sehr bald bei uns auf, der große Mann. Weißer Schal, weiße Strümpfe, Zigarre und natürlich eine neue Frau, ich sag's Ihnen, eine Granate für sich, behängt mit dem ganzen Schmuck ihrer Träume auf einmal. Das ging ein Jahr, dann war der alles los und hat wieder mit'm Bauchladen angefangen.

Warum haben Sie diese köstliche Welt wieder verlassen?

Ich bekam von der Bühne weg ein Angebot als Mannequin. Das war ein neuer Reiz, und es gab mehr Geld, ich durfte reisen, und die Bühne und den Applaus hatte ich nach wie vor. Aber eins hat sich geändert: Wir waren nur noch Frauen und außerdem sehr behütet, obwohl es natürlich Heiratsangebote hagelte. Der Chef paßte aber auf und wimmelte alles ab. So war das damals üblich. Wir durften auch nie ausgehen, jedenfalls nicht alleine, und wir durften nur sehr wenig essen, Süßes schon gar nicht. Ich hab mich da oft tagelang nur von Sauerkraut ernährt.

Warum haben Sie's erduldet?

Ganz einfach: Wir waren alle eitel, und die Bühne war das Höchste.

Sie haben dann doch aufgehört.

Naja, nach zwei Jahren hab ich geheiratet und ein Kind bekommen, da konnte ich nicht mehr auf die Bühne. Die Lösung war, daß ich ins „Astoria“ zurückging, diesmal an die Rezeption, bis dann 1962 das zweite Kind kam und dann noch ein drittes, da war's endgültig vorbei. Erst 1971 ging's wieder, da hab ich in der Psychiatrie hier im ZKH Ost eine Ausbildung als Krankenschwester angefangen, aber das schaffte ich dann einfach nicht mehr mit meinen drei Kindern. Ich hab dann als angelernte Kraft weitergearbeitet.

Warum aber ausgerechnet in der Psychiatrie?

Ich wollte das unbedingt. Das ist ja was ganz Herrliches. Lauter zufriedene Menschen im Grunde, und gar nicht so sehr bedauernswert. Ich hab ja immer sehr aufmerksam die Menschen um mich herum beobachtet, auch um selber nicht so aufzufallen.

Was hat Sie da so angezogen?

Daß die überzeugt waren von den ausgefallensten Dingen. Einmal nahm mich eine beiseite und flüsterte: „Du, ich bin schwanger“. Da sag ich: „Aber das kann doch auch sehr erfreulich sein!“ Sagt sie: „Aber ich trag's im Oberschenkel!“ Oder diese Autisten. Einen hatten wir, der guckte den ganzen Tag mit dem Fernglas in die Kloschüssel. So ging das dahin.

Auch eine Art Varieté.

Ganz genau. Und als ich dann nach fünfzehn Jahren aufhörte und die Kneipe „Am Großmarkt“ übernahm, da war's schon wieder das selbe, das kann ich Ihnen sagen. Nein, das tut sich alles nicht viel.

Fragen: Manfred Dworschak

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