: Das gibt's doch gar nicht!
■ 2250 Mark Geldstrafe – wg. „Widerstand“ bei Polizeieinsatz
Brauchen Polizisten keine Angst vor rechtlichen Konsequenzen zu haben, wenn bei ihren Aktionen Menschen verletzt werden? Ein neues Urteil legt diesen Schluß mal wieder nahe. Hendrik P. wurde nun wegen Widerstand und Körperverletzung von Amtsrichter Henning Haage zu einer Geldstrafe von 2250 Mark verurteilt, weil er der Fotojournalistin Marily Stroux zur Hilfe gekommen war, als diese bei einem Hafenstraßeneinsatz von Beamten der Bereitschaftspolizei mißhandelt wurde.
Der Vorfall ereignete sich am 25. November 1992 bei der Räumung einer Wohnung in der Häuserzeile. Als Marily Stroux das Agieren der Uniformierten der Einheit „954“ fotografieren wollte, wurde sie aus der Wohnung gezerrt und die Treppe hinunter geworfen; man trat gegen ihre Kamera und warf die Fotografin dann mit umgedrehten Armen auf die Straße. Die Journalistin erlitt bei der Aktion einen Steißbeinbruch.
Hendrik P. sah das brutale Vorgehen, wollte Marily Stroux „befreien“ und ihr schnell wieder auf die Beine helfen. Plötzlich wurde auch er von Polizisten zu Boden geworfen und festgenommen. Ein Beamter stellte später Strafantrag wegen Widerstand, Gefangenenbefreiung und Körperverletzung.
Auch Marily Stroux stellte mittlerweile Strafantrag wegen Körperverletzung und anderer Delikte und klagt vor dem Verwaltungsgericht auf Feststellung, daß das Vorgehen rechtswidrig war. Kuriosum: Im Verwaltungsgerichtsverfahren erklärte die Polizei, es habe einen solchen Vorfall nicht gegeben, man habe die Fotografin nur leicht am Arm angefaßt, damit sie nicht fällt und ihr die Kamera entgleitet.
Obwohl es einen solchen Vorfall also nicht gegeben haben soll, machte die politische Staatsanwaltschaft jetzt Hendrik P. den Prozeß. Einziger Belastungszeuge: der Festnahmebeamte Nikolaus Jürgensen.
In dem dreitägigen Verfahren, in dem Jürgensen behauptete, von P. getreten und geschlagen worden zu sein, verwickelte sich der Polizist mehrfach in Widersprüche – er ist in Szenekreisen bei Demos als „Jäger“ bekannt und hat durch seine Aussagen oft zur Verurteilung von Linken beigetragen. Erst sagte er, er habe keinen Knüppel gehabt, dann erklärte er, er habe doch den Knüppel im Einsatz benutzt. Den Vorfall schilderte er in diversen Versionen.
In Amtsrichter Haage fand der Polizist einen treuen Zuhörer und Unterstützer. So lehnte der für seinen Zynismus bekannte Richter den Antrag von Verteidigerin Ute Brandt ab, Marily Stroux als Zeugin zu hören. Begründung: Der Vorfall habe mit dem vorherigen Geschehen nichts zu tun. Haage rundete das Justizspektakel ab, indem er voll und ganz dem Votum des Anklägers folgte und Hendrik P. zu der hohen Geldstrafe verdonnerte: 650 Mark über dem zuvor erlassenen Strafbefehl.
Peter Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen